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Kultur: Zeit der Zärtlichkeit

Es riecht muffig im Staatstheater Cottbus. Das liegt allerdings nicht daran, dass die Putzkolonnen hier ihre Arbeit schlampig verrichten - der beklemmende Geruch ist rein virtuell und geht von Dieter Richters Bühnenbild aus.

Es riecht muffig im Staatstheater Cottbus. Das liegt allerdings nicht daran, dass die Putzkolonnen hier ihre Arbeit schlampig verrichten - der beklemmende Geruch ist rein virtuell und geht von Dieter Richters Bühnenbild aus. Eine richtig fiese Spelunke in einem gottverlassenen Nest irgendwo an der Wolga hat er für Leos Janaceks Oper "Katja Kabanowa" gebaut. Keines von diesen billigen Anna-Viehbrock-Imitaten, die derzeit landauf, landab zu besichtigen sind, keines dieser Ostalgie-Gehäuse - sondern sprechende Wände, die von schlimmen Tagen erzählen. Vom Alltag in der russischen Provinz zwölf Jahre nach dem Mauerfall. Ein Warsteiner-Bierzapfhahn schmückt das "Bistro" von Kalinow, doch aus jeder Pore des rissigen Putzes sickert noch immer die giftige Atmosphäre früherer Zeiten.

Mit mutigem Zugriff haben Regisseur Martin Schüler und sein Bühnenbildner die sechs Schauplätze von Janaceks Oper in einem einzigen Raum kondensiert. Atemberaubend wie die Luft in dieser Kneipe ist das Schicksal der jungen Ehefrau Katja, die sich aus Einsamkeit in den Junggesellen Boris verliebt und dafür von ihrer Schwiegermutter in den Freitod getrieben wird. Und atemberaubend ist auch, wie Schüler diese bewegende Geschichte erzählt. Keine Sekunde entlässt er seine Zuschauer aus dem emotionalen Würgegriff, so dicht, so packend ist das Spiel der Akteure.

Eine Sopranistin geht ins Wasser

Vom hochkonzentriert spielenden Cottbuser Orchester und Generalmusikdirektor Reinhard Petersen souverän durch Janaceks grandiose, aus dem Rhythmus des gesprochenen Wortes entwickelte Musiksprache geleitet, wachsen die Sänger über sich hinaus: Sabine Paßow in der Titelrolle kriecht mit zunehmendem Leidensdruck immer mehr in sich hinein, bis es zur emotionalen Implosion kommt, während Waltraud Hoffmann-Muchers Barbara vor lauter Liebeslust der Wahnsinn in den Augen flackert. Hardy Brachmann kämpft als Dorflehrer verzweifelt für Fortschritt und Gefühlsfreiheit, und flieht am Ende doch geschlagen nach Moskau. Dirk Kleinkes hilfloser Tichon sackt einfach in sich zusammen, als sich seine Katja das Leben nimmt, ein Trauerkloß von stummer Tragik. Horand Friedrich schließlich durchschreitet als unbelehrbarer Aparatschnik Dikoj die Szenerie, mit sibirischer Gefühlskälte.

Diese beklemmende "Katja" beweist einmal mehr, dass Martin Schüler "zuhause" am besten ist. Hier in Cottbus, wo er seit vielen Jahren als Operndirektor wirkt, fühlt er sich nicht bemüßigt, durch Unkonventionelles überraschen zu müssen (wie beim missglückten "Rigoletto" an der Komischen Oper Berlin), hier kann er sein großes Talent als Erzähler entfalten, weil er weiß, dass zwei Drittel der Besucher das Werk zum ersten Mal erleben. Ein überzeugenderes Plädoyer für das Ensembleprinzip des deutschen Stadttheaters als diese Detailarbeit, diese Gruppendynamik der auf Schülers intensiv-realistischen Stil eingeschworeren Cottbuser Truppe ist kaum denkbar.

Und ein schöneres Stadttheater-Schmuckkästchen auch nicht: Nach Cottbus fährt man eben auch des wunderschönen Hauses wegen, das Bernhard Sehring, der Erbauer des Berliner Theater des Westens, in einer unwiderstehlichen Mischung aus Jugendstil, Neoklassizismus, Ägyptenmode und Renaissance-Verehrung zum Jahrhundertwende-Juwel geformt hat. In Brandenburg, dem hässlichen Entlein an der Havel, geht dagegen die gesamte Anziehungskraft des Theaters für auswärtige Besucher vo seinem Chefdirigenten Michael Helmrath aus. Zwar arbeitet das Theater mittlerweile in einem mit EU-Geldern errichteten CulturCongressCentrum unter passablen Bedingungen, doch das Gebäude selbst wirkt wie die Frucht einer Mesalliance aus Waldorfschule und Achtzigerjahre-Eisdiele.

Ein Tenor drapiert sich

Also wartet man, bis das Licht ausgeht, und die Brandenburger Symphoniker unter Helmraths Leitung ihre Kunststücke vollführen. Mit dem Mut des Monopolisten hat man sich diesmal an die "Tosca" gewagt, ein irrwitziges Vorhaben eigentlich, denn Puccinis Dauerbrenner steht jedem Musiktheaterfan als opulente Ausstattungsorgie vor dem geistigen Auge. Doch wenn das Publikum vor Ort nach Repertoire-Rundrumversorgung verlangt, muss Rom eben auch mal in einer Mehrzweckhalle auferstehen. Mit ein paar geschickt angeordneten, kannelierten Säulen weiß sich Ausstatter Karl-Heinz Abramowski zu behelfen. Dass er einen fast schon protestantisch anmutenden klaren Klassizismus als Baustil der Kirche im ersten Akt wählt, hat sicher Kostengründe - und fügt sich doch hervorragend mit Michael Helmraths Interpretationsansatz.

Der Dirigent nämlich befreit Puccinis Partitur von allem fin-de-siècle-Ballast, mit dem sich die Kapellmeister das Werk seit 1901 eingerichtet haben, klopft den akustischen Stuck ab, rollt die Perserteppiche ein, reißt Samtvolants herunter. Und plötzlich tritt eine Musiksprache zutage, die sich ganz aus der Parlando-Tradition der opera buffa herleitet. Das gesprochene Wort steht im Vordergrund, wird zart umwebt vom lichten Orchestersatz. Nicht sentimentales Streicher-Pathos dominiert, sondern Klangfarb-Kombinationen der Holzbläser. Wenn allerdings der Todesscherge Scarpia auftritt, wenn Cavaradossi gefoltert wird und Tosca knapp der Vergewaltigung entgeht, dann tobt und wütet auch das Orchester, dann fährt der Tuttidonner gleißend und scharf dazwischen. Da schockiert die moderne Brutalität dieser Musik plötzlich wieder, weil hier Humanismus und Diktatur auch akustisch aufeinander prallen.

Leider verfügt Johannes Schwärsky bei aller volltönenden Durchschlagskraft seines Baritons nicht über die nötige Stimmschwärze für den Scarpia. Er wirkt einfach zu menschlich. Ganz erstaunlich wirkt dagegen die Besetzung des Liebespaares mit der attraktiven, hingebungsvoll singenden und agierenden Lucy MacFarlane als Tosca und Ivan Mutaftchiev, der vokale Italianità und den Willen zum differenzierten Gestalten in die Waagschale werfen kann. Dass er auf offener Bühne zunächst selbstverliebt ein samtenes Cape am rundlichen Körper drapiert, bevor er "Wie sich die Bilder gleichen" anstimmt, hätte sich Regisseur Manfred Straube ruhig verbitten dürfen.

Im übrigen aber ist die Inszenierung erzählerisch zweckdienlich und optisch stimmig. Neue Einsichten in die psychologischen Prozesse der Dreiecksgeschichte in Zeiten polizeilicher Willkürherrschaft verschafft Straube seinen Zuschauern allerdings nicht - doch das wäre angesichts der erregenden Noviäten aus dem Orchestergraben auch fast nicht auszuhalten gewesen.

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