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Kultur: Zeit der Zensur

Ein

von Christina Tilmann

Die Idee des deutschen Künstlers Gregor Schneider, zur Biennale einen an die zentrale Pilgerstätte des Islams, die Kaaba in Mekka, erinnernden schwarzen Kubus auf dem Markusplatz aufzustellen, hatte auf den ersten Blick eine bezwingende Logik. Venedig, Stadt zwischen Orient und Okzident, zu BiennaleZeiten Pilgerziel der Kunstjünger aus aller Welt: Was liegt näher, als ein Heiligtum der Kunst nach Maßen eines religiösen Heiligtums zu errichten?

Für Schneider ist die Kaaba eines der „unfassbarsten, geheimnisvollsten und schönsten Gebäude der Welt“. Und dass Kunst zum Religionsersatz werden kann, dass Ästhetik sich auch im Reich der Religion entfaltet, ja untrennbar mit ihr verbunden ist, wer wollte dies angesichts der vielfältigen Schönheit der venezianischen Kirchen leugnen?

Nun muss man Schneider, einem Meister der Täuschung und Verschleierung, nicht alles glauben. Allein, die italienischen Behörden witterten sogleich Gefahr, fürchteten verletzte muslimische Gefühle und einen Terroranschlag – und verboten die Aktion. Es ist das erste Verbot nicht, das Kunst trifft, die sich mit Religion befasst. Eine gestürzte Wachsfigur von Papst Johannes Paul II., von einem Meteoriten erschlagen (übrigens vor vier Jahren auch auf der Biennale in Venedig zu sehen), ein schwuler Christus, ans Kreuz geschlagen: Kunst, die religiöse Gefühle verletzt, ist besonders in fundamental katholischen Ländern wie Polen, oft angegriffen, zerstört oder verboten worden. Nur: Vorangegangen waren dem oft heftige Proteste von Gläubigen. In Venedig hatte bislang kein einziger Muslim protestiert.

Im Gegenteil. Besonders die Biennale von Venedig sieht sich mit ihrem System der Länderpavillons als Schauplatz aller Weltkulturen. In diesem Jahr waren dort auch Länder wie Afghanistan, Ägypten, Iran, Türkei und Marokko vertreten. Künstler wie Shirin Neshat oder Abbas Kiarostami sind hier gefeiert worden. Andererseits werden auch westeuropäische Länder, Spanien zum Beispiel, durch Künstler wie Santiago Sierra ob ihrer Einwanderungspolitik auf der Biennale hart kritisiert. Doch die Kluft zwischen muslimischer und westlicher Welt ist auf politischer Seite offenbar zu tief, als dass Kunst sie überbrücken könnte. Der Traum eines freien Kulturdialogs ist mit der Absage an Gregor Schneider gestorben. Und Zensur, die eingreift, bevor sie überhaupt auf den Plan gerufen wurde, stellt sich auf eine Stufe mit jener Art von Fundamentalismus, vor dem sie sich fürchtet. Freiheit ist etwas anderes.

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