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Kultur: Zeit für die Bikini-Nixen

Thomas Münstermann, der neue Chef des Friedrichstadtpalasts, sucht nach der Formel für die perfekte Show

Ohne die Girls geht nichts. Die 32 Mädels, die kurz vor dem Finale jeder Show ihre langen Beine unisono in die Luft werfen, sind der Trumpf des Berliner Friedrichstadtpalastes, der immer sticht. „So etwas gibt es sonst nirgendwo auf der Welt“, sagt der Chef des Hauses, Thomas Münstermann. „Wer uns mit dem Moulin Rouge vergleicht, hat keine Ahnung. Im Pariser Etablissement bekommen Sie erst ein Abendessen, und während Sie verdauen, spaziert Haute Couture über die Bühne.“ Im Friedrichstadtpalast dagegen gibt es pures Entertainment, mit bühnenfüllenden Gruppenchoreografien, Akrobatik, Gesangssolisten und jeder Menge Überwältigungstechnik. In Minutenschnelle fährt lautlos ein Schwimmbecken aus der Versenkung hoch, Fontänen sprudeln, durch die gläsernen Wände kann man Bikininixen beim Unterwasserballett zusehen. Oder der Gastgeber schwebt per Gondel über die Zuschauerköpfe auf die Szene.

Münstermanns Intendantenbüro steht in krassem Kontrast zu den skurrilen Fantasiewelten der Bühne. Billige Möbelhaus-Konfektionsware, kahle Wände. Hinter der Tür lehnt eine E-Gitarre. Auf der übt er ab und zu – schließlich hat sich der 48-Jährige vorgenommen, das Berliner Publikum zu rocken. Und zwar, ohne die Stammgäste zu verschrecken. Anfang August hat er offiziell die künstlerische Leitung des Friedrichstadtpalasts übernommen, in zehn Monaten wird er sich erstmals als Regisseur vorstellen, mit der Weihnachtsrevue 2005.

Warum es so lange dauert? „Jede neue Show ist eine Uraufführung“, betont Münstermann. „Während Musical-Unternehmen für den deutschen Markt fertige Stücke einkaufen, die bereits woanders erfolgreich waren, lassen wir immer alles neu machen, das Libretto, die Partitur, die Ausstattung, die Inszenierung.“ Darum, findet er, seien die Revuen auch „echte“ Kultur. Und ergo subventionsberechtigt.

6,32 Millionen Euro bekommt das Haus an der Friedrichstraße pro Jahr von Senator Thomas Flierl überwiesen. Das ist zwar nur noch die Hälfte von dem, was vor zehn Jahren für den Palast locker gemacht wurde. Von über 1000 Mitarbeitern zu Wendezeiten sind weniger als 300 Leute übrig geblieben, der Eigenfinanzierungsanteil liegt bei 74,7 Prozent. Und dennoch finden viele, dass Traumfabriken wie der Revue-Palast eigentlich keine staatlichen Zuschüsse erhalten sollte. Andererseits: Das Haus stellt in Berlin einen echten Wirtschaftsfaktor dar. Über eine halbe Million Tickets wurden 2004 verkauft, 325000 Besucher reisten von außerhalb an. Sie übernachten hier, gehen essen und einkaufen.

Würde der Wirtschaftssenator dem Touristenmagnet Friedrichstadtpalast für jeden externen Gast 19 Euro aus dem Topf für Standortförderung zahlen, kämen Münstermann und sein Team auf die Summe, die sie zum Überleben brauchen. Eine Finanzierung des „Fehlbedarfs“ aus einem anderen Etat als dem der Kultur würde viele beruhigen, die finden, Staatsknete sollte für jene Kunst da sein, die es schwer hat: für Anregungstheater, nicht für Ablenkungstheater.

Münstermann hat ganz andere Sorgen. Denn er ist auf der Suche nach der Formel für die perfekte Show. Mit langen Überlegungen zum Wesen und Unwesen der Revue hält er sich ungern auf. Münstermann ist Praktiker. Am Theater seiner Heimatstadt Kassel hat er das Metier von der Pike auf gelernt, vom Ballett bis zur Beleuchtung überall ausgeholfen, wo man ihn mitmachen ließ. 1979 wurde er Dramaturg in Oberhausen, als sein Sohn geboren wurde, zog er seiner Frau zuliebe nach Osnabrück. Sie spielte Kontrabass im Orchestergraben, er inszenierte als Operndirektor oben auf der Bühne, machte auch Musical, Schauspiel, Operette, schrieb das Libretto für eine PerryRhodan-Oper. Bis dann der Anruf aus Berlin kam. Zusammen mit Verwaltungschef Guido Hermann teilt er sich nun die Leitung des Revuepalasts. Mindestens die nächsten fünf Jahre lang.

Auf den ersten Blick passt Münstermann nicht hierher. Er ist kein JohannesHeesters-Typ, trägt weder weißen Seidenschal noch Einstecktuch. Man könnte sogar versucht sein zu sagen, er sei antiglamourös. Das kommt vielleicht bei den Society-Ladies mit den großen Hüten nicht so gut an, wohl aber bei den Mitarbeitern im eigenen Haus. Durch sein unprätentiöses, kumpelhaftes Auftreten macht Münstermann – unbewusst? – einen Makel wett: Er ist Wessi. Einen von drüben hatte man schon mal Anfang der Neunzigerjahre geholt. Die Sache ging schief, und der zwischendurch gefeuerte Chefdramaturg Sascha Iljinskij hatte ab 1995 als heimgeholter Retter alle Hände voll zu tun, um die Stimmung auf der Bühne wie im Saal wieder ins Gleichgewicht zu bringen.

Der Friedrichstadtpalast war das Mondänste, was die DDR zu bieten hatte, ein Besuch in dem 1895Plätze-Saal der Höhepunkt jeder Berlin-Reise. Das wurde er seit Iljinskijs Intendanz auch wieder, für Hunderttausende, selbst aus den Provinzen der alten Bundesländer.

Als erste Tat lässt Münstermann derzeit die Fassade des realsozialistischen Protzklotzes sandstrahlen. Künstlerisch weiterentwickeln will er nicht nur die Optik, sondern auch die Inhalte der Revuen. Er spricht von „Wir dürfen nicht versuchen, Musicals zu imitieren, indem wir alles in ein Handlungsgerüst pressen. Viel moderner ist es, Themenabenden, die er etablieren möchte: „Jede Nummer kann für sich stehen, ist aber gleichzeitig die Variation einer Ausgangsidee.“ „Zeit“ ist der erste Schlüsselbegriff, den er sich vornehmen wird, für die Show im März 2007. „Berlin definiert sich über sein Tempo, da kann man viel erzählen über die Stadt in 24 Stunden, von denen jede ihren eigenen Charakter hat.“ Wer mit der Zeit geht, kann Revue passieren lassen.

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