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Zeitenwende: Der Tod der Meister

Kurz hintereinander sind die großen Künstler George Tabori, Ingmar Bergman und Michelangelo Antonioni gestorben. Das war, das ist eine Zäsur.

Politisch endete das 20. Jahrhundert wohl erst am 11. September 2001. Und kulturell in diesen Tagen, da kurz hintereinander der 93-jährige Schriftsteller und Theatermacher George Tabori, der 89-jährige Film- und Theaterregisseur Ingmar Bergman und der fast 95-jährige Filmregisseur Michelangelo Antonioni gestorben sind.

Wende und Ende signalisierte schon das Zerreißen des Eisernen Vorhangs. Da fiel im vorletzten Akt die Berliner Mauer, aber erst das Finale im Ausgang von 1989 zeigte den wirklich revolutionären, dramatischen Sturz des letzten kommunistischen Tyrannen in Europa. Und just in den letzten Tagen des blutig-operettenhaften Herrscherpaars Ceausescu starb auch der Dichter Samuel Beckett, der ja wie kein anderer die Absurdität der Existenz jenseits aller Götter und Götzen, jenseits aller Ideologien beschworen hatte.

Man kann den historischen Moment dabei immer zum Zufall erklären. Aber man vermag ihn damit nicht selbst zu erklären. Das gilt auch für die Trias der großen Todesfälle, die jetzt die Weltkunst trafen. Drei Mal die Koinzidenz des Unvermeidlichen, also jeweils ein natürliches Ende. Trotzdem bleibt das Empfinden: Das war, das ist eine Zäsur. Ein Ende auch nach dem Ende von ’89, so als hätte der Philosoph Karl Marx mindestens mit der These recht behalten, dass sich die Weltgeschichte oft zweimal ereignet, das zweite Mal angeblich nur als Farce. Doch die Farce, das hat gerade Tabori gezeigt, sie ist längst zur höheren Kunst geadelt, zum Teil jener alles Glück und jeden Schrecken umfassenden Comédie humaine.

Hitler, Stalin und Mao, die Monster des 20. Jahrhunderts, sind schon länger tot, und ihre Schatten werden immer kürzer. Auch die Jahrhundertkünstler Kafka und Beckett, Picasso und Francis Bacon, Luis Buñuel, Charlie Chaplin und Orson Welles sind in ihren Werken zwar unsterblich, rühren mittlerweile aber von sonderbar weit her. Wirken als Pioniere und Klassiker der Moderne. Dagegen ragten Antonioni, Bergman und Tabori als eben noch lebende, überlebende Meister auch hinüber in jene Nachmoderne, die sie ebenfalls als Klassiker schätzt, die zugleich jedoch alle künstlerischen Erbschaften am liebsten nur noch zum Spielmaterial eines universell vernetzten, vermischten, sich selbst in neuen Techniken immer schneller verzehrenden Kulturbetriebs erklärt.

Zeugen und Spiegelbildner des Krieges, des Holocausts und der ersten Atombombe, der Poprevolte und der neuen sexuellen Freiheit sind viele Künstler gewesen. Antonioni und Bergman aber waren die letzten Riesen des im 21. Jahrhundert aussterbenden Zelluloids, des alten großen Kinos. Ihr Schatten, nein: ihr Licht fällt nun auf die Schwelle zur digitalen Ära, zur Ästhetik von TV und DVD. Tabori hat Theater noch ganz aus dem Körper und der Sprache, nicht aus Videoclips gemacht. Und alle drei, obwohl bis Hollywood gelangt, waren im Kern immer europäische Künstler.

Was das heißt? Sie gingen als Erben von Strindberg und Freud in die Sex- und Seelentiefe, oft langsam, manchmal nur einer Obsession, einem Inbild, einer Liebe verfallen. Amerikas Kultur, ihre (Film-)Erzählung aber sucht statt Tiefe das Weite, sie erobert schneller und, wenn sie nicht wie bei Paul Auster oder Woody Allen europäisch geprägt ist, statt nur einer Frau gleich ein Land, einen Kontinent. Die neue Welt. Wir sind jetzt ganz im amerikanischen Jahrhundert. Das ist die Zäsur. An der Schwelle freilich – zur Asien-Ära.

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