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Kultur: Zeitgenössische Malerei: Rückkehr aus dem Schattenreich

Ein Mann im Schnee, mit seinen Skiern hingeplumpst, sitzt er scheinbar arglos da und wendet sich zum Fotografen um. Doch das Gesicht ist ausgelöscht, mit einem hellen Weiß übermalt, heller als der ihn umgebende Schnee.

Ein Mann im Schnee, mit seinen Skiern hingeplumpst, sitzt er scheinbar arglos da und wendet sich zum Fotografen um. Doch das Gesicht ist ausgelöscht, mit einem hellen Weiß übermalt, heller als der ihn umgebende Schnee. Man könnte, man müsste dieses Bild für seine malerische Delikatesse loben, die perfekt ausbalancierte Komposition zwischen Abstraktion, dem Nichts des Schnees, und Gegenständlichkeit in Gestalt der sitzenden Figur preisen. Und doch schwingt anderes mit, denn der Dargestellte ist nicht irgendwer, sondern "Der Architekt", wie der Titel angibt, genauer: Hitlers Baumeister und späterer Kriegswirtschaftsminister. Der harmlose Schnappschuss zeigt ihn im Moment eines kleinen privaten Debakels, das den späteren Sturz dieses mächtigen Mannes spielerisch vorwegnimmt. Übersetzt in das Medium der Malerei scheint jene mit Albert Speer verbundene Schicksalsträchtigkeit auf, wird eine gänzlich andere Dimension wahrnehmbar.

In der zeitgenössischen Malerei sind solche Bilder selten. Wenn, findet das Thema "Drittes Reich" eher in den Bereichen Fotografie, Videokunst oder Installation seine Bearbeitung. Dem belgischen Künstler Luc Tuymans geht es jedoch um beides: die Möglichkeiten der Malerei in Zeiten digitaler Dominanz und eine adäquate Auseinandersetzung mit Geschichte. Als ein Gastredner der vier Jahre zurückliegenden Eröffnung des Hamburger Bahnhofs kam ihm der Gedanke, einen entsprechenden Bilderzyklus im Haus der Wannseekonferenz auszustellen, dort, wo 1942 das Schicksal von Millionen Menschen besiegelt wurde.

Doch wie hätte das gewirkt, seine Bilder an diesem Ort womöglich unter jene gläserne Platte gelegt, die heute den Beratungstisch der "Endlösung" vor Berührung schützt? Anmaßend und überzogen, gestand sich der Künstler ein. So ist von der ursprünglichen Idee eine thematische Ausstellung mit rund 40 Bildern wiederum im Hamburger Bahnhof geblieben, die am 12. Mai in der Wannsee-Villa ein Kolloquium zu der Frage ergänzt, wie bildende Kunst heute reagieren kann. Angesichts der Diskussion um das Holocaust-Mahnmal hätte man sich allerdings schon früher einen solchen Einwurf von einem Museum für Gegenwart gewünscht. Ein Belgier, geboren 1958, musste offensichtlich erst die Initiative ergreifen. Vermutlich ist es auch nur einem ausländischen Künstler dieses späteren Jahrgangs möglich, mit den Mitteln der Malerei ins Zentrum der Auseinandersetzung, der Berührungsangst vorzustoßen.

Dafür geht Luc Tuymans weit, vielleicht sogar zu weit, denn seine "Signal" überschriebene Ausstellung erhielt nicht nur den Titel der zwischen 1942 bis 1945 in den besetzten Ländern vertriebenen Propaganda-Zeitschrift, auch der Katalog lehnt sich an die von den Nazis entwickelte Magazingestaltung an. Das ist typisch für den belgischen Maler, der seine Kunst immer wieder über die Folie historischer Dokumente legt, um sie in Zeitlosigeit, mithin in die Gegenwart zu transportieren. Auf diese Weise erhalten seine Gemälde eine aufregende Ambivalenz: Sind jene einen Maibaum aufrichtenden Männer in kurzen Hosen nun Figuren der Geschichte oder ihre heutigen Wiedergänger? Stammen diese vorgestreckten Hände einer im Gesicht unkenntlich gemachten Person nun von einem Täter oder Opfer? Zu seinen stärksten Bildern gehört jenes an ein Fotoporträt Himmlers angelehnte Gemälde, das den "Reichsführer SS" fast bis zur Abstraktion verdunkelt zeigt.

In Tuymans Bildern tauchen die Täter aus ihrem Schattenreich wieder auf. "Das Thema baut sich kontinuierlich neu auf, so pervers es ist", gestand der Künstler freimütig seine Faszination. "Für mich spielt auch der Voyeurismus und das absurde Interesse an menschlichem Leid eine Rolle, das sich wie eine moderne Form des Kannibalismus darstellt und die Bedeutung eines Konsumgutes erreicht," schreibt er dazu im Katalog. Tuymans liebt es, den Finger in die Wunde zu legen. Für seine "Heimat"-Ausstellung in Antwerpen erhielt er Bombendrohungen von flämischen Nationalisten; für seinen Biennale-Pavillon im Sommer in Venedig zu Belgiens kolonialer Vergangenheit ist der Ärger vorprogrammiert. Oder auch nicht. Denn bei Tuymans Bildern kann man sich immer auch in der Köstlichkeit seiner Malerei verlieren, was das belgische Königspaar beim offiziellen Biennale-Besuch bevorzugen dürfte. In Berlin, am Ort des Geschehens, geht das nicht.

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