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Kultur: Zeitloses statt Zeitgeist

Wer sich der 50jährigen Kulturgeschichte der Freien Universität widmet, stößt auf Namen wie Peter Szondi, Wilhelm Emrich oder Rudi Dutschke.Kaum jemand wird aber wohl den Katholizismus eines Olivier Messiaen oder die Mystik eines Karlheinz Stockhausen als typisch hervorheben.

Wer sich der 50jährigen Kulturgeschichte der Freien Universität widmet, stößt auf Namen wie Peter Szondi, Wilhelm Emrich oder Rudi Dutschke.Kaum jemand wird aber wohl den Katholizismus eines Olivier Messiaen oder die Mystik eines Karlheinz Stockhausen als typisch hervorheben.Als gelte es, ein anderes Bild der Universität zu vermitteln, geschah dies bei einer "musikalisch-literarischen Zeitreise", die die FU am Vorabend ihres Gründungsdatums im Kammermusiksaal der Philharmonie durchführte.Es erklangen solche Kompositionen ihrer Ehrendoktoren, die dem liberalen Geist dieser Bildungsinstitution eher fernstehen.Statt des Zeitgeistes feierte man das Zeitlose.

Nach einem einleitenden Quartettsatz Paul Hindemiths, dem die Universität 1950 den Ehrendoktor verliehen hatte, sprach Peter Wapnewski über "Eine andere Universität oder Das Ideal und das Leben".Bewußt subjektiv schilderte er seinen Weg vom traditionslastigen Heidelberg in die großzügige Offenheit der FU.Trotz der antiquierten Talare deutete sich hier "eine andere Form von Leben" an.Die Ruhe endete nach der Ermordung des Studenten Benno Ohnesorg am 2.Juni 1967."Der herrschaftsfreie Diskurs trat mit dem Megaphon die Herrschaft an." Vor drängenden Fragen nach gesellschaftlicher Relevanz floh Wapnewski mit anderen Professoren aus der Stadt, was zu einer "Ausdörrung" der Universität geführt habe.Wehmütig sprach der Redner von der gegenseitigen Verehrung von Studenten und Professoren in der alten Universität.Nicht ungern nahm er deshalb die Einladung an, sich als Gründungsrektor des Wissenschaftskollegs der Leistungselite zu widmen.Als eine Musik, "die in eine bessere Welt entrückt", präsentierte Moderator Volker Mertens die Chants de terre et de ciel von Messiaen.Privates wird darin in himmlische Höhen und Längen überführt.Messiaen wurde gleich doppelt gewürdigt.Sein Quartett für das Ende der Zeit, aus dem Sevimbike Eilbay, Alois Brandhofer, Bernhard Hartog und Peter Mann drei Sätze ebenso packend wie klangsinnlich musizierten, setzte dem alltäglichen Zeitgefühl eine Form spiritueller Ewigkeit entgegen.Auch der Messiaen-Schüler Karlheinz Stockhausen strebt eine "bessere Welt" an.In seinem Monumentalwerk "LICHT" verkörpert der eigene Sohn Markus den guten Engel Michael.Im "Oberlippentanz für Solo-Piccolotrompete" protestiert er gegen den luziferischen Alltag.Markus Stockhausen schickte explosive Luftgeräusche virtuos "protestierend" in die Runde hinaus und machte so das Publikum zum kollektiven Luzifer.Einige Hörer fühlten sich durch das ausgedehnte Ritual des gehend, kniend und liegend spielenden Trompeters ihrerseits zu Protest herausgefordert.

In Musik und Textwahl war Wolfgang Rihm von Anton Webern beeinflußt, als er 16jährig seine Gesänge op.1 schuf.Wie bei Messiaen trug die ausgezeichnete Sopranistin Merav Barnea, am Klavier einfühlsam begleitet von Manuel Lange, diese schwierigen Kompositionen sehr überzeugend vor.

In Wort und Musik nahm das Ereignis nur peripher Bezug zur FU-Kulturgeschichte.Akademiepräsident György Konrad bot unter dem Titel "Über die Universität, Politik, die Liebe und das Leben" Weisheiten wie die Aufforderung an die Studenten, neugierig zu sein und Tagebuch zu schreiben.Studentenjahre seien überall eine beneidenswerte Periode.Besonders beneidet Konrad die heutigen Studenten in Berlin und Budapest, weil die Politik sich nicht mehr störend zwischen sie stelle.Das größte Verdienst des Redners war es, die Studenten als Subjekte ernstzunehmen, hatte sich doch das umfangreiche und ohne Pause durchgeführte Programm allzu lange den Honoratioren, Professoren und Ehrendoktoren gewidmet.Erst zum Schluß durfte das Collegium Musicum die Musik aus der Sphäre der Entrückung ins Realitätsbezogene zurückkehren lassen.Bei Haydns Es-Dur-Trompetenkonzert standen die jungen Musiker noch ganz im Schatten des Solisten Markus Stockhausen, der in der Kadenz seines Vaters das thematische Material mit Phrasenkürzungen und Tritonusfiguren ins Ungewohnte versetzte.Der abschließende Ragtime von Paul Hindemith enthielt in effektsicherer Mischung von Farbenfülle und Ironie vielleicht größere Anteile von FU-Kulturgeschichte als viele der Beiträge zuvor.

ALBRECHT DÜMLING

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