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Lässt sich das Ende der Welt noch verhindern? Die neuen Antimodernisten leisten literarische Trauerarbeit.

© Patrick Pleul/dpa

Zeitschriften-Kolumne: Entzivilisiert euch!

Über Ohnmenschlichkeit, transhumane Herrlichkeit und den „Ökozid“ der Industriegesellschaft: Die Antimodernisten des Dark Mountain Project.

Von Gregor Dotzauer

Unter den großen Antimodernisten des 20. Jahrhunderts gibt es Rechtsausleger und Linksausleger. Mit seinen Spitzen gegen die Demokratie stilisierte sich etwa der kolumbianische Aphoristiker Nicolás Gómez Dávila auch politisch zum selbsterklärten „Reaktionär“, wohingegen Pier Paolo Pasolini seine Attacken auf die Konsumgesellschaft mit den Waffen eines eigenwilligen Marxismus ritt. Vielleicht berührt sich der Extremismus beider Denker an manchen Stellen sogar, doch dass jeder für sich vereinnahmungsresistent blieb, hat Rechte wie Linke nicht davon abgehalten, sich von ihnen inspirieren zu lassen. Das gilt in noch höherem Maß für den amerikanischen Dichter Robinson Jeffers (1887–1962), den Eremiten aus dem kalifornischen Monterey County.

Botho Strauß entdeckte ihn hierzulande, der Hegemonie alles Linken überdrüssig, in den „Fragmenten der Undeutlichkeit“ (1989) schon vier Jahre vor seinem „Anschwellenden Bocksgesang“ als verbündeten Außenseiter. Nur 20 Jahre später diente er zwei jungen Engländern, Paul Kingsnorth und Dougald Hine, als Stichwortgeber von „Uncivilization“, einem antikapitalistischen Manifest, das sich dem unausweichlichen „Ökozid“ der Industriegesellschaft widmet.

Vom Menschen zum Nichtmenschen

Auch das damit initiierte Dark Mountain Project, ein lockerer Zusammenschluss von Schriftstellern, Künstlern und Theoretikern, der Geschichten für eine Zeit erzählen will, die ihren drohenden Untergang kulturell sonst nach Kräften ignoriert, bezieht seinen Namen von Jeffers, und zwar aus einer Zeile seines Gedichts „Rearmament“. Es findet sich auch in Eva Hesses fragwürdig übersetzter, aber ausgezeichnet benachworteter zweisprachiger Hanser-Sammlung „Die Zeit, die da kommt“.

Nun ist unter dem Titel „Walking on Lava“ (Chelsea Green Publishing) eine Auswahl mit den 40 besten Texte aus den seither entstandenen zehn Dark-Mountain-Periodika erschienen. Sie wird eröffnet von eben jenem Manifest, das die bei Jeffers zentrale Idee des Inhumanismus zitiert – Botho Strauß übersetzt sie mit Ohnmenschlichkeit – und als Ziel des eigenen Schreibens definiert. „Eine Verlagerung des Schwerpunkts vom Menschen zum Nichtmenschen; die Zurückweisung des menschlichen Solipsismus und Anerkennung transhumaner Herrlichkeit.“ Mit anderen Worten: ein freudiges Sicheinfügen in die belebte und unbelebte Welt. Das herrschaftliche Bewusstsein soll sich von seinem Anthropozentrismus lösen.

Schriftstellerische Trauerarbeit

Genau dies erklärt der englische Sozialethiker Peter King in seiner Studie „The Antimodern Condition“ zur Konfliktzone von Modernisten und Antimodernisten. „Eines der entscheidenden Merkmale von Modernität liegt in dem Glauben, dass wir Subjekte sind, die sich von der Welt unterscheiden. Wir sind, Descartes zufolge, denkende Subjekte, die ihren Blick auf die Welt außerhalb richten können. Wir existieren gleichsam unterschieden von der äußeren Welt jenseits von uns.“ So kann er auch behaupten: „Die antimoderne Verfasstheit ist keine zeitliche Verfasstheit; sie richtet sich nicht gegen das Jetzt. Sie ist vielmehr eine Art, die Welt anzuschauen und unsere Anwesenheit in ihr zu verstehen. Im Wesentlichen ist sie eine Stellungnahme gegen den Fortschritt und die Idee menschlicher Vollkommenheit.“

Zum Leidwesen vieler Aktivisten glaubt Paul Kingsnorth nicht mehr, dass sich Klimakatastrophe und Artensterben noch abwenden lassen. Sie gehören zur Zwangslage, mit der wir uns arrangieren müssen. Was er nach Jahren politischer Rebellion noch schriftstellerisch beitragen will, versteht sich am ehesten als Trauerarbeit. Seine vor Kurzem bei Faber & Faber erschienenen Essays „Confessions of a Recovering Environmentalist“ erzählen davon – wie von seiner Ablehnung einer Biotechnologie, die Mensch, Tier und Pflanze anpassungsfähiger für die drohenden Verheerungen machen will. Dennoch, was raten die letzten Sätze des Manifests? „Das Ende der Welt, wie wir sie kennen, ist nicht das Ende der Welt. Punkt. Gemeinsam werden wir Hoffnung jenseits der Hoffnung, die Wege, die zu der unbekannten Welt führen, die vor uns liegt.“

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