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Kultur: Zerzaust

Von Steffen Irlinger Es waren nur vier Tage, in denen aus einem Hoffnungsträger ein Relikt wurde. An einem verregneten Spätsommertag des Jahres 1991 bestieg das New Yorker Quartett Sonic Youth voller Vorfreude eine Boeing 747 Richtung Irland.

Von Steffen Irlinger

Es waren nur vier Tage, in denen aus einem Hoffnungsträger ein Relikt wurde. An einem verregneten Spätsommertag des Jahres 1991 bestieg das New Yorker Quartett Sonic Youth voller Vorfreude eine Boeing 747 Richtung Irland. Sie hatten gerade nach 10 Jahren im Underground einen langfristigen Vertrag mit der Plattenfirma Geffen unterschrieben und galten mit ihrem experimentell-dilletantischen Noise Rock als letzte Rettung der Rockmusik. An Bord befanden sich auch ein paar Freunde, ein Kameramann, der die anstehende Europatournee der Band filmen sollte und ein Musiker-Trio aus Seattle, das als hingebungsvolle Fan-Band für das Vorprogramm vorgesehen war. Einen Transatlantikflug und zwei Auftritte später jedoch war die fröhliche Ordnung bereits mit gewaltigem Getöse in sich zusammengefallen.

Lokomotive von Zug überrollt

Als Sonic Youth in Köln die Bühne betreten wollten, durften sie nicht. Die Männer vom Security Service waren wie gelähmt von dem furiosen Auftritt des Support Acts Nirvana und wollten in ihrer Verwirrung einen wichtigen Teil der Hauptband nicht durch die Eingangskontrolle lassen. Erst als die umher stehenden Zuschauer protestierten, durfte die Bassistin Kim Gordon auf die Bühne steigen.

Es wäre nur eine Nebensächlichkeit, die man vergessen könnte, wenn aus der Szene nicht eine fast schmerzhaft deutliche Symbolik sprechen würde. Denn die verwegenen Lärmpioniere waren von einer Entwicklung überrollt worden, die Sie selbst initiiert hatten. Trotzdem würde niemand Sonic Youth als gescheiterte Band betrachten. Obwohl Kim Gordon und ihre Mitstreiter kommerziell kaum vom Aufschwung des Alternative-Rock profitiert haben, der in den neunziger Jahren mit Bands wie Nirvana die angeschlagene Musikindustrie ergriff, erscheint die Band nach über 20 Jahren zerzaust, aber ungebrochen. „Sonic Youth - The choice of a lost generation", titelte denn auch eine Internet-Fansite im semantischen Durcheinander aus Resignation, Ironie und Verachtung.

Das Geheimnis der Band ist Ergebnis eines Scheiterns, das selbst in Momenten größter Ohnmacht den Stolz einer kommerziellen Verweigerung verbreitet. Doch obwohl sich das Quintett wirtschaftlich nicht durchgesetzt hat, ist sein Ruf Ausdruck einer seltenen Doppelstrategie. Seitdem es vertraglich an Geffen gebunden ist und die Konventionen und Automatismen des Big Business erfüllen muss, erkundet es mit seinem Label SYR und in unzähligen anderen Projekten mit Kleinstauflagen wieder den klassischen Underground zwischen sonischen Experimenten, lärmendem Noise Rock und kopflastiger Avantgarde Komposition. Das ist ihre Basis, ihr eigentliches Zuhause und sie verlassen es nur, um alle paar Jahre für ein neues Sonic Youth-Album zu werben.

„Murray Street", die sechzehnte Platte seit Gründung der Band 1981, knüpft in etwa dort an, wo sich die Band Mitte der Neunziger vom alternativen Rock-Sound abgewendet hatte, weil dieser zum Marketing-Artikel verkam. Es folgten mehrere Alben in denen sich die Band bewusst wieder mehr dem Experiment zuwandte. Eine ästhetische Entscheidung, die jetzt wieder zurückgenommen wird. „Murray Street" ist wie eine Wiederentdeckung der Melodie im Lärmgehäuse des Post-Punk. Obgleich zugänglicher als das Vorgängeralbum „New York Ghosts and Stories" (1999) klingt die Platte an keiner Stelle anbiedernd. Einige Songs kollabieren noch immer wie zitternde Schallmauern - und klingen trotzdem so frisch und inspiriert wie lange nicht mehr.

Man ist versucht, das hohe Lied der Nachhaltigkeit anzustimmen: Sonic Youth haben in all ihrer vormodernen Achtziger-Jahre- New-Yorker-Kunststudenten-Coolness so lange nach der Schönheit im Lärm gesucht und dabei so intensiv an ihrem eigenen idiosynkratischen Ansatz herumgebastelt, dass der Zeitgeist bei seinen rastlosen Pendelbewegungen bei ihnen halt gemacht hat. So unterschiedlich sie auch klingen mögen - Bands wie die Strokes, White Stripes oder ie Elektroniker von Fisherspooner löffeln alle aus derselben Ursuppe in die Sonic Youth vor 21 Jahren zum ersten Mal hineingespuckt hat.

Auch Parodien sind kein Ausweg

Wie großartig sich die Musiker um Jim O’Rourke und Thurston Moore gehalten haben, zeigt ein Blick auf all die vermeintlichen Kriegsgewinnler der alternativen Szene: Curt Cobain, der Sänger von Nirvana hat sich bekanntlich erschossen, der Rest der Band liegt im Streit mit dessen Witwe, und alle anderen Bands aus der Dokumentation jener Europatour „1991 - The year that punk broke", parodieren sich seit Jahren selbst.

Manchmal kann sich eine Erfolgsgeschichte in der Rockmusik auch daraus entstehen, dass du die finanziellen Erwartungen deiner Geschäftspartner nicht erfüllst, dich die Rotzlöffel von der Vorband an die Wand spielen und dich die Sicherheitsbeamten bei deinem eigenen Konzert nicht erkennen.

Sonic Youth spielen am 9.7. in der Columbiahalle, 20 Uhr

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