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Kultur: Zettelkastens Traum

Eine Münchner Ausstellung feiert die Pionierinnen der Zwanzigerjahre-Architektur

Frauen spielen in der Architektur der frühen Moderne eine untergeordnete Rolle. Am Bauhaus beispielsweise war die Weberei ihr Reservat. Ansonsten durften sie Inneneinrichtungen gestalten, deren bauliche Hüllen selbstverständlich von Männern entworfen wurden.

Es war nicht ganz so; immerhin 1300 Lebensläufe von im weitesten Sinne mit Architektur befassten Frauen des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts haben die beiden Historikerinnen Ute Maasberg und Regina Prinz im Rahmen eines an der TU Braunschweig initiierten Forschungsprojektes mittlerweile auf ihrer Datenbank versammelt. Die Ausstellung, die aus diesem Projekt erwuchs, war im vergangenen Sommer in Dessau auf dem beengten Platz der beiden museal genutzten Meisterhäuser des Bauhauses zu sehen – erst jetzt hat sie, unter dem Titel „Die Neuen kommen! Weibliche Avantgarde in der Architektur der zwanziger Jahre“, in der Münchner Pinakothek der Moderne jenen Raum bekommen, der ihrem Anspruch auf Korrektur der männlich dominierten Geschichtsschreibung gerecht wird. Etliche Ausstellungsstücke sind hinzugekommen, darunter als Publikumsattraktion ein Exemplar der berühmten „Frankfurter Küche“ der Wienerin Grete Schütte-Lihotzky, die seinerzeit in rund 10000 Wohnungen des Stadtbaurats Ernst May eingebaut worden war und das Musterbeispiel einer zeitökonomisch organisierten Kücheneinrichtung bildet.

Dieses Exemplar – aus einer Stuttgarter Privatsammlung, die etliche dieser Komplettküchen hütet – kann nicht nur betreten, sie kann auch in ihren sämtlichen – gefüllten ! – Schütten und Schubladen ausprobiert werden, und nur der Gasherd darf aus Gründen des Brandschutzes leider nicht angestellt werden.

Schütte-Lihotzky zählt zu den wenigen Frauen, die der Entdeckung heute nicht mehr harren; die meisten anderen bedürfen der Würdigung sehr wohl. Selbst bekannte Architektinnen wie Lilly Reich, die ganz im Schatten Mies van der Rohes stand, werden hier erstmals als eigenständige Persönlichkeiten vorgestellt.

Die Münchner Ausstellungsstation ist nicht nur nach Zahl der Objekte, sondern auch nach ihrer Bandbreite erheblich erweitert. Es kommen auch die bildenden Künstlerinnen in den Blick, die – wie Sophie Taeuber-Arp mit dem Straßburger „Café Aubette“ – architektonisch tätig waren, oder auch die Publizistinnen, die – wie Nationalökonomin Erna Meyer mit ihrer Zeitschrift „Neue Hauswirtschaft“ – die Plackerei der Hausfrauenarbeit rationalisieren und erleichtern wollten.

Erna Mayer ist auch die Erfinderin jenes wunderbaren Zettelkastens „Gedächtnishilfe der Hausfrau“, wie er im Grunde bis heute von einschlägigen Magazinen für Rezeptsammlungen angeboten wird. Und wusste man, dass die Kulissen für Paul Wegeners berühmten Stummfilm von 1920, „Der Golem“, von Marlene Moeschke-

Poelzig stammen, der Frau von Hans Poelzig? Und dass sie eine Villa in Neu-Westend entworfen und ausgestattet hat, mitsamt der Turngeräte für die Kinder? Sie muss eine jener „Neuen“ gewesen sein, die das für München ausgeliehene großformatige Gemälde „Mädchen mit Reißschiene“ zeigt. Es ist das prototypische Bild der berufstätigen „neuen Frau“ auf flachen Absätzen und liefert geradezu die Leitikone der Ausstellung. Einziger Schönheitsfehler: Es stammt von Nikolaus Sagrekow – einem Mann.

München, Pinakothek der Moderne, bis 5. Juni. Katalog im Junius Verlag, 19,90 €, im Buchhandel 29 €.

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