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Kultur: Zickenschulze wohnt hier nicht mehr

Kiez-Rabatt: Das Hansa-Theater startet mit neuem Team - und sucht ein Volkstheater jenseits vom „ Miljöh

Wenn es nach seiner Automarke ginge, dann würde André Freyni wenig vom deutschen Stadttheater-Intendanten unterscheiden. Irgendwie individuell, skandinavisch liberal und solide verschärft ein Saab den Neid zumindest nicht, den leitende Theaterleute von Bonn bis Nordhausen wecken. Doch Freynis Gefährt ist alt, läuft nur selten rund und liegt wie ein gestrandeter Kahn zwischen Kulissenteilen in einem Moabiter Hinterhof. Dabei ist sein Fahrer gerade erst Intendant geworden, im Gebäude nebenan, dem Hansa-Theater. Eine Zigarette in der Hand, geht von dem 40-jährigen schmalen Struwwelkopf der sanfte Charme derer aus, die immer zu wenig schlafen und stets, ohne Hoffnung auf Erfolg, einem imaginären Terminplan hinterher laufen.

Freyni hat sich und seinen Mitstreitern nur wenig Zeit gegeben. Vor fünf Wochen hat er das Theater übernommen, an dem er zehn Jahre lang als Technischer Leiter gearbeitet hat, diesen Sonnabend schon hebt sich der Vorhang zur ersten Premiere. Bevor er selbst einer wurde, hat Freyni vier Intendanten kommen und gehen sehen, zuletzt firmierte das Traditionshaus als „Berlins Volkstheater Hansa“ und kassierte 1,8 Millionen Mark Subventionen im Jahr. Soviel Geld war dem damaligen Kultursenator Peter Radunski die Beschwörung eines „Miljöhs“ wert, das schon lange nicht mehr existierte – und dessen greise Anhänger ihre Wohnung immer seltener verließen. Gut gehen konnte das nicht. Und so kippte der Senat das Hansa-Theater diesen März aus der „Konzeptionsförderung“, nachdem ein Gutachten die künstlerische Leistung des Hauses als „zäh, müde, verstaubt und platt“ gegeißelt hatte. Das weitaus verheerendste Urteil für das Volkstheater lautete aber: „Nicht die Spur des schnellen Berliner Witzes.“ Freyni zieht an seiner Zigarette. „Das geht so in Ordnung“, sagt er ruhig. „Eine Produktion wie ,Aus dem Hinterhaus kiekt det Leben raus“ hätte man niemals auf die Bühne bringen dürfen. Wir haben wenigstens versucht, den Zuschauern ein schönes Bühnenbild zu liefern, damit sie was zu sehen haben.“ Eine liebevoll zusammengeschraubte Hinterhofkulisse - auch in Moabit zu wenig.

Unten, im echten Hof, knattert es. Durch den Torbogen kommt ein Motorroller mit Sozius geschossen. Der Schauspieler Heinz Werner Kraehkamp steigt ab, vom Beifahrerplatz springt sein Hund Sammy. Kraehkamp klingelt an der Werkstatttür, auf der zwei dunkelbraune Kartoffeln tanzen. Dies ist der letzte Ort, an dem die nicht mehr ganz frisch wirkenden Maskottchen des „Berliner Volkstheaters Hansa“ noch geduldet werden. Deren Blütezeit muss in eine Epoche gefallen sein, in der die Hausfrau Stärkeknollen noch einkellerte. Die Techniker können Kraehkamp, der nach Kaffee ruft, nicht hören. Um wach zu bleiben, haben sie Musik auf die Hausanlage geschaltet, es dröhnt durch Bühnenraum, Maske und Werkstatt. Während der Probeaufbau für die Eröffnungspremiere, Peter Shaffers „Komödie im Dunkeln“, eingeleuchtet wird, bekommen die engen Räume der Maske einen neuen Bodenbelag, auch der Schaukasten im Foyer soll von „Zille mittenmang“-ergrauter Spitze und „Hochzeit bei Zickenschulze“-welken Hochglanzprogrammen befreit werden.

Ein schwieriger Balanceakt: Die 580 Abonennten des Hauses will Freyni nicht verschrecken und gleichzeitig neue Zuschauer für das 1888 als Festsaal der Kronenbrauerei eröffnete Theater finden. Damals hieß es: „Das Publikum fühlt sich behaglich, verzehrt sein mitgebrachtes Abendbrot während der Pausen, wozu Kellner Bier reichen.“ Von den feucht-föhlichen Schwänken der Vergangenheit sind nur noch ein paar Marmortischchen mit Beleuchtung geblieben. Ansonsten: Leeres Theatergestühl, das Reihe um Reihe gefüllt werden will - ohne Subventionen. Ein „Kiezrabatt“ von 30 Prozent für die Postleitzahl 10555, soll das Publikum der Umgebung anziehen. Von heimischer Komödienware wendet man sich ab, spielt lieber bewährte angelsächsische Autoren wie Peter Shaffer oder Sean O’Casey („Das Ende vom Anfang“).

Statt der musikalischen Posse hält der Slapstick Einzug auf Alt-Moabit: Das neue Team sucht den virtuosen Umgang mit dem Chaos, kurzzeitige Selbstüberlistung eingeschlossen. Und damit Sprachbarrieren in Kiez und Hauptstadt nicht länger einen Theaterbesuch verhindern können, gibt es im Oktober einen „Silent Macbeth“, der Shakespeare als komödiantischen Live-Stummfilm auf die Bühne bringt, die von 1923 bis 1961 auch mal Hansa-Filmpalast hieß. Vielleicht kommt dann sogar der türkische Gemüsehändler von nebenan vorbei – und die Kulturverwaltung revidiert ihr Urteil vom müden Volkstheater. Denn auf Dauer will sich Freynis Haus wieder eine Spielstättenförderung erspielen. Bis es soweit ist, freut man sich erstmal über einen Sponsor für die Premieren-Würstchen.

Saisonauftakt am 10.8., 20 Uhr mit „Komödie im Dunkeln". Mehr im Internet unter:

www.hansa-theater-berlin.de

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