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Kultur: Zieht Serbien den Diktator zur Rechenschaft?: Die Zeit ist abgelaufen

Slobodan Milosevics vorläufig letzter Akt auf der politischen Bühne entbehrte nicht einer gewissen Komik. Einige Dutzend aufgebrachte Rentner vor seinem Haus und ein nationalistischer serbischer Mini-Schirinowskij in der Villa selbst wollten ihn gegen den Zugriff der serbischen Sonderpolizei verteidigen.

Slobodan Milosevics vorläufig letzter Akt auf der politischen Bühne entbehrte nicht einer gewissen Komik. Einige Dutzend aufgebrachte Rentner vor seinem Haus und ein nationalistischer serbischer Mini-Schirinowskij in der Villa selbst wollten ihn gegen den Zugriff der serbischen Sonderpolizei verteidigen. Die Farce um seine Verhaftung hat allerdings auch eine brutale Kehrseite: Ihr Ausgang wird den Machtkampf zwischen dem serbischen Ministerpräsidenten Zoran Djindjic und dem jugoslawischen Staatsoberhaupt Vojislav Kostunica wesentlich beeinflussen.

Nach Darstellung des jugoslawischen Innenministers Zoran Zivkovic hat ein Mini-Putsch der Jugoslawischen Armee die Verhaftung des ehemaligen Despoten in der Nacht von Freitag auf Samstag verhindert. Milosevic wurde seit seinem Sturz am 5. Oktober letzten Jahres von Armee-Kommandos bewacht. Den Befehl über sie hat Stabschef Nebojsa Pavkovic, gegen den das Internationale Kriegsverbrechertribunal in Den Haag Anklage erhoben hat, genau wie gegen Milosevic. Nach einer kurzen Schießerei zogen die Soldaten zwar aus der Villa ab, ließen aber eine schwerbewaffnete Gruppe Zivilisten zurück, mit der die Polizei erst fertig werden muss, bevor sie Milosevic Handschellen anlegen kann.

"Vojislav ohne Land"

Sollte Pavkovic wegen dieser Obstruktion nicht umgehend abgesetzt werden, schadet das dem Ansehen der Regierung Serbiens. "Pavkovic fällt unter die Zuständigkeit des Staatspräsidenten Kostunica", lautete die unmissverständliche Drohung des serbischen Regierungschefs Djindjic.

Über die Räumung des Anwesens und Milosevics Verhaftung verhandelten am Samstag Nachmittag, so die Gerüchteküche in Belgrad, Präsident Kostunica höchstpersönlich, Vertreter des Militärs, der serbischen Regierung und der Polizei. Djindjic dementierte Kostunicas Teilnahme und erklärte, es werde kein Zurückweichen geben, denn "alle sind gleich vor dem Gesetz, und alles verläuft nach dem Gesetz".

Der serbische Regierungschef würde, wie aus seiner Umgebung verlautet, Milosevic am liebsten umgehend nach Den Haag ausliefern. Wie immer kalkuliert er pragmatisch: Dadurch wäre das Haupthindernis auf dem Weg der Rehabilitierung Serbiens in der internationalen Gemeinschaft ausgeräumt. Vor allem wären der politische Druck aus Washington und die Drohungen, keine Finanzhilfen zu leisten, kein Thema mehr.

Kostunica hingegen sieht in der Kontroverse um Milosevics Auslieferung noch eine der wenigen Möglichkeiten, seine Position zu stärken. Zwar ist Kostunica persönlich noch immer vielfach populärer als sein Gegenspieler Djindjic, aber die Zeichen stehen für ihn ungünstig. Sollte sich in den nächsten Monaten die winzige Teilrepublik Montenegro von der Bundesrepublik Jugoslawien loslösen, wird Kostunica endgültig zum "Vojislav ohne Land", wie ihn seine politischen Gegner ohnehin verspotten. Er ließ allerdings schon einmal den Hinweis fallen, vorgezogene Neuwahlen in Serbien seien durchaus möglich.

Offenbar rechnet Kostunica damit, sein politisches Lager, in dem sich vor allem Traditionalisten mit patriotischem Temperament einfinden, jetzt auch um die Stimmen der früheren Milosevic-Anhänger und noch weiter rechts stehender Gruppen erweitern zu können. Die Kombination nationaler und sozialer Ressentiments könnte sich im verarmten und politisch verwirrten Serbien als gewinnträchtig erweisen.

Umgehend kam die Retourkutsche von Djindjic, und sie war eindeutig: Das Parlament Serbiens sei gerade im letzten Dezember für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt worden. Mit Djindjic identifizieren sich vor allem Modernisierer, die im Interesse einer ökonomischen Rettung Serbiens die Nähe zum Westen suchen und die Wunden des Nato-Angriffs auf Serbien nicht in den Vordergrund stellen.

Die Belgrader gehen lieber Shopping

Djindjic hofft vor allem auf die Stärkung der wirtschaftlichen Beziehungen zu Deutschland und das grüne Licht aus Washington für die Wiederaufnahme Belgrads in die Weltbank und den Weltwährungsfonds.

Wesentliche ideologische Unterschiede gibt es nicht zwischen Kostunica und Djindjic. Sogar in der Frage der Auslieferung Milosevics sind die Positionen nicht unversöhnlich. Beide sind jetzt für eine Zusammenarbeit mit dem Kriegsverbrechertribunal, beide glauben aber, dass es für die politische Katharsis in Serbien notwendig wäre, Milosevic wenigstens zuerst in Belgrad vor ein Gericht zu stellen, beide sehen Serbiens Zukunft in der europäischen Integration. Kritiker werfen Kostunica vor, er verliere vor lauter Fragen eines vermeintlichen Nationalstolzes den Sinn für das politisch Notwendige. Djindjic wird immer wieder Prinzipienlosigkeit und ungezügelter politischer Egoismus vorgehalten.

Das politische Drama im Nobelviertel Dedinje, wo Milosevics Villa liegt, ist schnell für die meisten Belgrader zur Farce geraten. Samstag ist traditionell Einkaufstag auf dem Markt. Die Preise sind hoch, Arbeit ist ein halbes Jahr nach dem Machtwechsel nach wie vor schwer zu finden, die lautstark angekündigte Hilfe aus dem Westen macht sich nicht bemerkbar. Was mit Milosevic wird, kümmert die meisten Menschen überhaupt nicht mehr, und der Machtkampf zwischen Kostunica und Djindjic ist auch nicht besonders unterhaltsam.

Dusan Reljic

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