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Kultur: Zigarettenpause

Gabriele Gysi inszeniert Kleists „Penthesilea“

Tränen flossen bei einer der ersten Lesungen des Trauerspiels „Penthesilea“ im Freundeskreis. „Soviel als das Entsetzen, das unvermeidlich dabei war, zuließ,“ schreibt Heinrich von Kleist 1807. Tränen und Entsetzen – Kleist macht auf die emotionalen Zerklüftungen eines Entwurfs aufmerksam, den er noch mehrfach umarbeiten sollte. Nur durch den Fluss der Verse und eine bildsatte Sprachgewalt hat er die Einheit der Dichtung hergestellt; nur in Klang und Rhythmus, der Verfremdung, ja Vernichtung der „Realität“ durch die gemeisterte Form offenbart sich Geschlossenheit.

Was gesagt wird, kann das Ungeheuerliche zwar fassen. Aber es wird nicht gezeigt. Es bleibt in der Hölle der Fantasie. Gabriele Gysi will in ihrer Inszenierung bei den „Vaganten“ diese Hölle fassbar machen, indem sie ins Heutige holt, was in der Ferne mythologischer Überhöhung angesiedelt ist. Als Handlungsort dient ein von Kriegsgedröhn umtoster Bunker oder auch die Unterbühne eines halb zerstörten Theaters (Bühne und Kostüme Nicole Riegel). Hier treffen sich drei junge Männer zu einer Zigarette und manch erhitzter Debatte. Zwei Frauen wollen sich den Unterstand ebenfalls sichern – die Schöne im weißen Kleid mit der Pistole in der Hand, und die Kräftige, Dunkle, mit leichtem Brustpanzer. Griechen? Amazonen? Wohl eher Jungs und Mädchen aus der Vorstadt, die ein kaum erklärbarer Zwist umtreibt.

Gysi nutzt die widerstreitenden Möglichkeiten des Trauerspiels. Sie zieht es herunter bis zur Gefühligkeit, reichert es an mit stampfenden Tänzen, treibt Kleists Deutsch in fremde Sprachen hinein. Und verteidigt die Utopie einer großen Liebe. Es gehört zu den berührenden Szenen des Abends, wenn Penthesilea (Katharina Hofmann) und Achilles (Joey Bozat) das Geheimnis ihrer Zuneigung zu ergründen versuchen. Sie erleben ein Wunder. Hofmann, vorher kühl und unnahbar, bietet sich träumerisch dar, setzt ihre Weiblichkeit ein, um den rauen Mann zu verwandeln. Bozat spielt einen nachdenklichen Achill, einen unter den Gefährten fremd Gebliebenen, der mit Penthesilea die Welt neu zu begreifen versucht. In ihrer Begegnung rückt das Kriegerische weit weg. Mit noch immer fleckenlosem weißen Kleid trägt die Amazone den toten Geliebten auf die Bühne. Geschieden von allem Wirklichen sinkt sie über Achill zusammen. Diese Zartheit versöhnt mit manchem Getöse und Pistolengefuchtel, die Kleists Sprache in den Botenberichten steigert zum Schluchzen, Heulen, Schreien: Tränen und Entsetzen eben.

Christoph Funke

Wieder am 23., 24., 25. 4., 20 Uhr

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