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Kultur: Zirkus Roncalli

Der Papst und die verschwundenen Kinder: In Italien streiten die Historiker um Pius XII.

Hat Papst Pius XII. nach 1945 die Rückgabe jüdischer Kinder an ihre Eltern verboten oder ausdrücklich genehmigt? Drei Wochen lang haben in Italien die Historiker darüber gestritten, jetzt müssen sie das Feld den Kriminalisten überlassen. Denn von der fraglichen Anordnung der Obersten Glaubensbehörde, auf die sich der Streit gründet, ist mittlerweile eine zweite Fassung aufgetaucht. Beide tragen dasselbe Datum (23. Oktober 1946), beide sind sich sehr ähnlich, aber im heikelsten Punkt widersprechen sie einander diametral.

Einige tausend jüdische Eltern in Frankreich und Italien hatten während des Krieges ihre Kinder in katholische Einrichtungen oder Familien geschmuggelt, um sie vor den Nazis in Sicherheit zu bringen. Nach dem Krieg bat der Jerusalemer Großrabbiner Isaak Herzog bei der Kirche um Auskunft über diese Kinder. Der vatikanische Botschafter in Frankreich, Angelo Giuseppe Roncalli, fragte in Rom nach Anweisungen, die Glaubensbehörde schloss sich mit  Pius XII. kurz, dann ging das ominöse Papier nach Paris.

Der Vatikan empfiehlt – soweit sind sich beide Fassungen einig – größte Zurückhaltung bei Antworten an jüdische Organisationen und bei der Rückgabe jener Kinder. Sie seien der Kirche „anvertraut“ worden und dürften nicht „jemandem übergeben werden, der kein Recht über sie hat“. Als einen Fall besonderer Art betrachtet der Vatikan jene Kinder, die während ihres Unterschlupfs im Kloster getauft worden sind. Diese dürften auf keinen Fall „Institutionen übergeben werden, die keine christliche Erziehung sicherstellen können“. „Etwas anderes gilt, wenn Verwandte die Kinder zurückfordern.“ So steht es in der zweiten Fassung des Dokuments. Die erste hingegen, die den Streit ausgelöst hat, verfügt, dass die Kinder ihren leiblichen Eltern nur zurückgegeben werden könnten, „sofern sie nicht getauft worden sind“.

Seit die zweite Fassung vorliegt, jubeln die Verteidiger des wegen seines Schweigens gegenüber Hitler umstrittenen Papstes. Pius XII.  habe „die sofortige Rückgabe angeordnet“, nimmt der Jesuitenpater Peter Gumpel den Papst in Schutz. Nach dem Auftauchen des ersten Dokuments hatte Gumpel ihn noch ganz anders verteidigt: Mit dem Verbot der Rückgabe getaufter Kinder an die Eltern habe Pius XII. „lediglich ein kirchliches Gesetz ausgeführt, das schon alt ist und nicht von ihm stammt“.

Gumpel soll im vatikanischen Auftrag den Seligsprechungsprozess für Pius XII. vorantreiben. Nach dem Auftauchen des ersten Dokuments schien der Seligsprechungsprozess des für seinen „Kampf gegen den Kommunismus“ gefeierten Papstes ins Wanken geraten zu sein. Gumpel und andere Kirchenhistoriker versuchen nun, die erste Fassung des Textes zu verleugnen. Ihre Kritik richtet sich gegen den damaligen Nuntius in Paris. Hat er eine milde Anordnung des Papstes ins Gegenteil verschärft und  Urkundenfälschung betrieben?

Den konservativen Historikern würde das gut ins Konzept passen. Heilsgeschichtlich kann jenem Nuntius nichts mehr passieren: Als Papst Johannes XXIII. ist er bereits selig gesprochen. Die Kritik an seiner Arbeit als Botschafter in Paris soll den Reformflügel der katholischen Kirchen treffen. Johannes XXIII. hat 1962 das Zweite Vatikanische Konzil eröffnet und damit eine Öffnung zur Welt eingeleitet, die ihm manche Gläubigen bis heute verübeln.

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