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Lyambiko kam in Berlin zum Jazz und wohnt jetzt in der Schweiz.

© Uwe Arens

Lyambiko: Zischen im Schlafzimmer

In ihrem Fall ist der Begriff "verjazzen" ein Kompliment. Keine Angst vor Grunge: Eine Begegnung mit der Jazzsängerin Lyambiko.

Diese Stimme gehört dem Jazz. Beim Sprechen wandert sie mit Leichtigkeit zwischen den Tonlagen, ist weder tief noch hoch, weder klar noch grell. Sie ist so vielseitig, wie die Frau dahinter. Wenn die Jazzsängerin Lyambiko lacht, klingt das hell und vergnügt. Sie komme direkt von der Probe, sagt sie zu Beginn des Gesprächs. Sie lächelt und ist glänzend aufgelegt.

Sie freue sich sehr, wieder in Berlin zu sein. Denn obwohl die Sängerin aus familiären Gründen mittlerweile in der Schweiz wohnt, verbinden sie elf ereignisreiche Jahre mit der Hauptstadt. 1999 kam sie hierher – ein großer Befreiungsschlag, wie sie rückblickend feststellt. „Ich war gerade 21 Jahre alt und hatte den Eindruck, dass mein ganzes Leben ein Scherbenhaufen ist.“ Denn die in Thüringen geborene und aufgewachsene Tochter einer deutschen Mutter und eines Vaters aus Tansania musste zahlreiche Schicksalsschläge wegstecken.

Als junge Mutter eines schwerbehinderten Sohnes trug sie bereits früh große Verantwortung. Sie spricht sehr frei von dieser schweren Phase ihres Lebens, ihre Stimme ist jetzt ruhig und sachlich. „In Berlin konnte ich ganz von vorne anfangen“, sagt sie. Die Sängerin kommt zwar aus einer musikalischen Familie, spielte als Kind bereits Klarinette, Saxofon und sang, eine professionelle Karriere strebte sie jedoch nicht an. Erst während ihres Musikwissenschaftsstudiums an der Humboldt Universität fand sie in der Berliner Jazz-Szene ihre Begeisterung für das Musizieren wieder. Sie nahm an Jamsessions in Clubs wie dem B-Flat teil, sammelte Bühnenerfahrung und lernte den US-amerikanischen Pianisten Marque Lowenthal und den kanadischen Bassisten Robin Draganic kennen. Gemeinsam gründeten sie schließlich die Band Lyambiko, benannt nach dem Vater der Sängerin, der einst auch Musik gemacht hatte.

Seit 2007 komplettiert der Schlagzeuger Heinrich Koebberling die heutige Besetzung. Er hat mit seiner Frau Fumi Udo Songs wie „Don’t stand by me“ oder „Taxi“ komponiert und das aktuelle, siebte Album „Something Like Reality“ (Sony Music) damit bereichert. Auch Lowenthal und Draganic haben mit „Chasing Dragonflies“ und „So Very Long“ Eigenkompositionen beigesteuert. Entstanden ist ein stilistisch vielseitiges, jederzeit geschmeidig und leicht klingendes Pop-Jazz-Album. Die stimmigen Arrangements sind hörbar eine kreative Gemeinschaftsleistung.

Mal klar und aus voller Brust, mal schlafzimmersanft hauchend gleitet Lyambiko über ein dezent swingendes Klavier, ein zischendes Schlagzeug und groovige Bläserarrangements. In Sachen Soul und Leidenschaft gleicht sie Ikonen wie Ella Fitzgerald – oder auch Nina Simone, der Lyambiko mit dem 2007 erschienenen Album „Saffronia“ eine in der Szene heftig diskutierte Hommage widmete.

Bei „Something Like Reality“ drängen sich ähnliche Vergleiche auf. So erinnert Lyambikos Gesang etwa im „Work Song“ von der blueslastigen Intonation her an die große Marlena Shaw. Neben zahlreichen eigenen Stücken füllen Coverversionen das große Repertoire der Band. Sie überrascht oft mit dem Zugriff auf ihr Material. So interpretiert sie Tracy Chapmans „Crossroads“ herrlich minimalistisch und erzielt dadurch eine umso gewaltigere Wirkung.

Lyambiko scheuen sich nicht vor Ausflügen in andere Genres. Mit „Black Hole Sun“ von der Grungerock-Band Soundgarden ist erneut ein Cover aus der populären Sparte dabei. Was Lyambiko hier so eindrucksvoll vorführt, nennt man allgemeinhin „verjazzen“. Das ist in diesem Fall ein Kompliment. Auf Grundlage von Evergreens entstehen ganz neue Kompositionen, die allerdings einen hohen Wiedererkennungsfaktor aufweisen. Auf der Bühne kann sich dann nochmal alles verändern. Denn: „Jazz ist Improvisation“, sagt Lyambiko und fügt hinzu: „Und in gewisser Weise ist mein ganzes Leben ein Jazz.“

Postbahnhof am Ostbahnhof, Samstag, 18.9., 20 Uhr

Florian Zimmer-Amrhein

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