zum Hauptinhalt

Zölibat: Wir nicht – aber unsere Kinder

Der Spagat mit dem Zölibat: Gibt es einen Zölibat, der über Verhaltensabstinenz hinausgeht? Wie ist das kriminelle Schweigen des Herrenclubs zu brechen? Zur Geschichte einer problematischen Institution.

Ein harmloser Witz über jene Ehelosigkeit, die zurzeit wenig harmlos am Pranger steht, spielt beim Honoratioren-Empfang: Das geht nicht, sagt Hochwürden auf die Frage der naiven Bürgermeister-Gattin, wo denn seine Gemahlin sei. Wegen des Zölibats. Die Gastgeberin: Den kleinen Zölibat hätten sie ruhig mitbringen können! Was es mit Zölibat auf sich hat, meint man weithin zu wissen, selbst wenn nicht jede Erklärung ganz stimmt.

Was auch an Sprachproblemen der Kirche liegt. Entweder sie erklärt sich dogmatisch oder bürokratisch oder soziologisch. So oder so kommen Ton und Termini schlecht an. Keuschheit? Unbeflecktheit? Unworte! Die Zölibats-Vokabel selbst bietet keine Übersetzungshilfe. Hat mit Himmel (coelum) etymologisch nichts zu tun, stammt von caelebs: allein, unvermählt. Bezeichnet also ein Minus. Das Minus, den Verlust an Menschsein, attackiert auch jene geläufige Kritik, die eine Tradition des „Pflichtzölibats“ auf einen – stark ökonomisch motivierten – Konzilsbeschluss von 1139 reduziert. Uta Ranke-Heinemann ging 1988 ( „Eunuchen für das Himmelreich“) weiter zurück: „Der Zölibat hat heidnische Wurzeln“, schrieb sie. Er gründe in der Scheu vor einem unnahbaren Gott.

Acht Jahre später veröffentlichte ein Historiker die Studie „Zölibat in der frühen Kirche“. Stefan Heids Analyse von Bibel- und Kirchenväter-Texten überzeugt durch Gründlichkeit und weniger Polemik, erkennt Traditionslinien von der Urkirche bis ins Mittelalter und stellt fest, dass ein „Pflichtzölibat“ erst ab den 1520er Jahren realisiert wurde. Im Fokus steht bei ihm allerdings der „Enthaltsamkeits-Zölibat“, welcher dem „Ehelosigkeits-Zölibat“ vorausgeht: die Übung oder Verpflichtung verheirateter Amtsträger, ebenso wie lediger oder verwitweter Kollegen, auf sexuelle Praxis zu verzichten. Zölibat-Fans heute dürfte der Ansatz irritieren, weil ihre Kirche sich in dieser Vielfalt kaum spiegelt; weil Heid den Unterschied zwischen restlosem Engagement und Leibfeindlichkeit nicht erhellt.

Und was heißt „Keuschheit“? Wer in einen Orden eintritt, wie die meisten aktuell entlarvten klerikalen Kinderschänder, gelobt sie unabhängig vom Pflichtzölibat. Doch der Begriff geht über Partnerverzicht hinaus. Auf Latein wird das Wort oft castus (rein) übersetzt. Keusch kommt aber von conscius (bewusst), intendiert ganzheitlichen Umgang mit dem eigenen Körper. Umgangssprachlich assoziieren wir eher asexuell.

Noch verkorkster wirkt das „Immaculata“-Missverständnis. Selbst Katholiken denken bei „unbefleckter Empfängnis“ oft an die laut Credo der Jungfrauengeburt vorausgegangene Zeugung Jesu durch den Heiligen Geist. Unbefleckt gleich spermafrei! Tatsächlich meint das Dogma von 1854, Maria sei zur Vorbereitung ihrer Rolle im ersten Existenzmoment vor der Trennung von Gott bewahrt worden. Eigentlich spekuliert diese Lehre, wie Himmel und Erde sich gnadenhaft treffen, wie Gott auf krummen Linien gerade schreibt. Sexfeindliche Rezeption macht daraus die Madonna ohne Unterleib, das Idol ordinierter Klemmis.

Gibt es ein Zölibats-Ideal jenseits der Perversion? Die Kirche versteht ihre Realo-Flecken als „eschatologischen Vorbehalt“, als Differenz zwischen Erlösung schon jetzt und noch nicht offenbarer Vollendung. Zynische Ausreden?

Kirchenintern wird über die Proportionen von Licht und Elend gestritten, zwischen Verbrechen, Doppelleben, Kompensation und Heiligkeit. Kardinal Walter Kasper weist die Zölibatsdebatte als eine Instrumentalisierung des Pädophilieskandals zurück. Die verpflichtende Ehelosigkeit katholischer Priester in die Diskussion zu ziehen, sei ein „Missbrauch der Missbrauchsfälle“, sagte der deutsche Kurienkardinal und Präsident des päpstlichen Ökumenerates in der italienischen Tageszeitung „La Stampa“. Dagegen hat sich der italienische Kardinal Carlo Maria Martini für ein Überdenken der Zölibatspflicht ausgesprochen. Die zentralen Fragen um die Sexualität müssten im Licht der heutigen Generation, der Humanwissenschaften und der Lehre der Bibel neu beantwortet werden. Extern wird auch schon ein Zölibatsverbot gefordert, was an Versuche erinnert, Amtsträger durch Zwangsheirat zu brechen, während der Französischen, während der Mexikanischen Revolution, in der Volksrepublik China.

Gibt es einen Zölibat, der über Verhaltensabstinenz hinausgeht, eine glaubwürdige Sublimation, aus der sozialer Mehrwert entsteht? Die Skizze eines solchen Ideals ist mit Bibelzitaten schwer auf einen Nenner zu bringen. Das Hohe Lied Salomos preist die Sexualität. Jesus würdigt alle, die sich für sein Projekt freiwillig zu „Eunuchen“ machen, unter Loslassen jeder Familienbindung.

Der Apostel Paulus würdigt im Konflikt mit der chaotischen Gemeinde zu Korinth die Ehe als eine Art Entsorgungsinstitut für all jene, die ihren Trieb anders schlecht kontrollieren. Dagegen stellt er seine Sicht vom Bedrängnisfinale der Heilsgeschichte. Den Schäfchen will er die Zerreißprobe ersparen: Künftig müssten „auch die, welche Frauen haben, so leben, als hätten sie keine … Denn die Gestalt dieser Welt vergeht.“

In der Katholischen Kirche gibt es (vor der Weihe) verheiratete Priester unierter orientalischer Riten und konvertierte evangelische Pastoren, die als Ehemänner geweiht wurden, sowie ehelos Geweihte, die ledig bleiben müssen. Während die Öffentlichkeit zu wissen meint, eine Abschaffung letzterer Regel könne die kriminelle Schweigedynamik des Männerklubs aufweichen, kolportieren Wiener Zeitungen, der Vatikan bastle an einer Neuordnung, Laufzeit 50 Jahre. Der Priester, sagte allerdings noch am 12. März Papst Benedikt XVI., gehöre „ontologisch“ zu Gott. „Auch in unseren Tagen“ gelte es beizutragen zum Wertverständnis und zur Neuerstarkung des „heiligen Zölibates“.

Was freilich durch punktuellen Umbau nicht gelingt. Sondern nur, wo Christen den provokanten Zölibat (mit und ohne Amt) überzeugt als mystische Lebensform und als Modell der Solidarität mit jener Mehrheit, die keinen (Sexual-)Partner hat, vermitteln. Wo an Stelle kasernierter Priesterausbildung – eine einst fortschrittliche, erst im 18. Jhd. exekutierte Reformidee des Trienter Konzils Mitte des 16. Jahrhunderts – reifungsfördernde Gemeinschaften entwickelt werden. Wo die urkirchlich verbürgte Weihe gestandener Ehemänner (viri probati) zu Presbytern (Priestern, Ältesten, Gemeindevorstehern) eingeführt wird, weil es dafür gute Kandidaten gibt.

„Wir erleben es nicht, aber unsere Kinder“, zitiert ein Bonmot den Reformhumor der Konzilsväter Anfang der 1960er Jahre. Träume? Apokalyptik? Die Gestalt dieser Kirche vergeht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false