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Kultur: Zombie-Yoga

Chétouanes „Sacré Sacre du Printemps“ im HAU.

Von Sandra Luzina

Die sieben Tänzer, die in schwarzen Turnhosen die Bühne des HAU 1 betreten, sind Gezeichnete. Sie tragen dunkle Flecken um den Mund und am Hals. Doch in Laurent Chétouanes Choreografie „Sacré Sacre du Printemps“ gibt es keine Auserwählte, kein junges Mädchen, das sich zu Tode tanzt. Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ endete bei der Uraufführung durch die Ballets Russes 1913 in Paris in einem Skandal. Der französische Choreograf will dieses Schlüsselwerk der Moderne nun aus den herkömmlichen Deutungsmustern lösen (nur noch einmal am heutigen Freitag, 19.30 Uhr). Er verweigert das Opfer – in seinem Verständnis bedeutet das: Er opfert das Opfer. Wie könnte eine Gemeinschaft aussehen, die zusammenhält, ohne das Fremde auszuschließen? Chétouane beruft sich dabei gern auf Philosophen wie Jean-Luc Nancy oder Gilles Deleuze.

Der Abend beginnt aber nicht Strawinsky, sondern mit einer meditativen Komposition von Leo Schmidthals. Als wollten sie Bodenkontakt vermeiden, staksen die Tänzer auf halber Spitze über die Bühne und wedeln mit gestreckten Armen. Die „primitiven“ Bewegungen, die man mit der „Frühlingsopfer“-Choregrafie verbindet, werden hier abermals verfremdet – was aber nur in den Manierismus führt. Eruptives, expressives Körpertheater ist in den Augen von Chétouane völlig démodé. Bei ihm sind die Körper unterspannt. Dafür verrutschtdie Mimik, die Tänzer müssen heftig grimassieren. Als dann endlich Strawinskys Partitur erklingt, streikt wiederholt der CD-Player, die Tänzer latschen einfach über die Musik hinweg, lassen die rhythmische Wucht an sich abprallen. Bald weicht alle Energie aus ihnen, sie schleichen wie Zombies im Kreis herum, legen sich hin, stehen nach einer Weile wieder auf, als hätten sie sich gerade bei der Yoga-Tiefenentspannung erfrischt. Dann bilden sie Zweier- und Dreiergruppen – sieht so die Vision eines Zusammenlebens aus?

Laurent Chétouane gehört zu den Auserwählten. Er ist einer der Choreografen, mit denen Annemie Vanackere, die neue Leiterin des HAU, kontinuierlich zusammenarbeiten will. In „Sacré Sacre du Printemps“ entzieht er sich einfach der Auseinandersetzung mit dem Werk und seiner 100-jährigen Rezeptionsgeschichte und proklamiert dies auch noch als progressive Geste. Die Tänzer wurden in Beugehaft genommen für ein Gedankenexperiment. Was geopfert wurde, ist die Kunst des Choreografierens. Sandra Luzina

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