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Kultur: Zu Besuch bei Herrn und Frau Kabakov

Eine Installation des Moskauer Konzeptualisten im Hamburger Bahnhof BerlinVON PETER HERBSTREUTHIlya Kabakov hat ein neues Kapitel aufgeschlagen.Selten war eine seiner Installationen karger, schlichter, monotoner.

Eine Installation des Moskauer Konzeptualisten im Hamburger Bahnhof BerlinVON PETER HERBSTREUTHIlya Kabakov hat ein neues Kapitel aufgeschlagen.Selten war eine seiner Installationen karger, schlichter, monotoner.Und selten war er so persönlich.Zwar kündigt der Hamburger Bahnhof eine Ausstellung an.Was den Besucher aber erwartet, sind die Stimmen von Herrn und Frau Kabakov, die ihm anhand von Fotoalben ihre Lebengeschichte erzählen.Man setzt sich nieder und lauscht.Die Stimmen wecken Vertrauen.Die Bilder schüchtern nicht ein.Bereits der Gang zu den Räumen, wo die Stimmen ertönen, verneint das Museum.Durch eine wie ins Abseits führende, etwas lädierte, schlecht gestrichene Tür verläßt man die Architektur des Museums und betritt ein inszeniertes Sanatorium.Von einem düsteren Gang mit trüben Lichtquellen gehen sechs Zimmer ab.Jedes Zimmer gleicht dem anderen.Ein gemachtes Bett mit brauner Decke und ein Nachttisch sind in monotoner Reihung in jedem Zimmer aufgestellt.Eine Lackschicht in Türkis schützt die Wand bis Brusthöhe und setzt sich leicht und beruhigend von einem graublauem Anstrich ab.Ein Vorhang und eine hölzerne Brüstung verhindern den Zugang ins Innere des Zimmers.Der Besucher kann sich auf einen von drei Hockern setzen und eine Dia-Schau an der Wand verfolgen.Ilya Kabakovs poetische Art bildnerischen Erzählens hat einen langen Atem und förderte in den vergangenen Jahren ein ausuferndes und ineinander verflochtenes Werk zutage, das seine Biographie zu einem labyrinthischen Bildraum machte.Er trat von Anfang an als Erzähler von Geschichten auf, nutzte die Museen wie Schriftsteller neue Buchprojekte und bezog jedes Element auf alle anderen.So entstand die "totale Installation", deren unendliches Sprechen entweder im Tod des Autors oder der absoluten Musealisierung der Welt im Maßstab 1:1 bestünde - falls er sich je einholte.Nun aber läßt er nicht mehr die Dinge und Dokumente sprechen, die im Sowjetalltag jedermann zugänglich waren, sondern erzählt von einem Mann, der in den dreißiger Jahren in der Ukraine aufwuchs, in Folge der Judenverfolgungen in den vierziger Jahren nach Usbekistan verschleppt wurde, nach dem Krieg die Leningrader Kunstakademie besuchte, als Buch-Illustrator arbeitete, dabei durch eine vielstimmige Personenführung seiner Charaktere auffiel, was ihm den Ruf eines russischen Magritte einbrachte, parallel immer wieder kleine Kunstausstellungen jenseits der offiziellen Kunstpolitik organisierte und schließlich in den siebziger Jahren in seinem Atelier "Das Seminar" mit Pavel Pepperstein, Erik Bulatov und anderen gründete, aus dem später von Boris Groys - ebenfalls Mitglied - die Theoriebildung des "Moskauer Konzeptualismus" ausging.Die Erzählung bricht ab, als Emilia Kabakov Moskau verläßt und nach New York geht, wo sie fast zwei Jahrzehnte später Ilya Kabakov wiedersehen und heiraten wird."Treatment with Memories" (Behandlung durch Erinnerungen), so der Titel der Berliner Installation, setzt auf die heilende Kraft der Vergegenwärtigung vor allem für ältere Leute.Und er empfiehlt in einem Begleittext, etwa in einer "häuslichen Dia-Show" ebenso zu verfahren."Die Dias sollen in chronologischer Reihenfolge gezeigt werden.Das Intervall sollte sehr langgezogen sein - 10 bis 12 Sekunden, nicht weniger.Es ist wichtig, daß ein Familienangehöriger Kommentare zu dieser Vorstellung spricht.Das langsame Wechseln der Dias, die sanfte Sprache und der halbdunkle Raum werden helfen", so Kabakov, "den Patienten in einen tiefen Schlaf zu wiegen."Die Ironie Kabakov ist etwas kompliziert.Er meint es einerseits ernst.Und er meint es zugleich ironisch.Es ist die Bekräftigung einer Illusion, die den Glaube daran einschließt, und gleichzeitig Kritik etwa der Erinnerungsseligkeit und des Klischees von der heilenden Kraft der Erinnerung.Das Gedächtnis der Archive - etwa eines Fotoalbums - ist begrenzt.Und es ist tot, wenn die Zeugnisse nicht ans Licht gehoben und behandelt werden.Doch es steht selten für das, was für die Geschichte der Personenprägend war.Die Erinnerung braucht oft nur einen Impuls, und schon ersteht eine Welt.Das Gedächtnis ist eine Konstruktion, wenn auch bisweilen eine heilsame, um sich nicht erinnern zu müssen.Man begreift das Arrangement und läßt sich doch verführen.Man hört den Legenden zu, die Herr und Frau Kabakov zu den Fotos erzählen.Die gleichsam private Atmosphäre in anonymer Umgebung schafft einen Raum ohne Angst.Man versteht alles sofort.Der Nukleus der Ausstellung war ein Zimmer im New Yorker Whitney Museum, in dem er erstmals dieses neue Kapitel aufgeschlagen hat.Im Hamburger Bahnhof erweitert er es; es gibt keinen neuen Ton, aber eine neue Möglichkeit, sich in einem Museum als Erzähler zu artikulieren.Das Prinzip jedoch ist das Album.Man blättert die Seiten um und erzählt die Geschichte dazu. Hamburger Bahnhof, Invalidenstraße 50/51, bis 30.August.Katalog 15 DM.

PETER HERBSTREUTH

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