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Kultur: Zu Besuch bei Lenins Tante

Bestechend cool: „Aus heiterem Himmel“ von Diego Lerman

Marcia kommt vom Dorf. Das sieht jeder auf den ersten Blick. An den langweiligen Klamotten und an Marcias Dauerflunsch. Bestimmt hat sie sich ihr Leben in Buenos Aires etwas aufregender vorgestellt, nun kaut die Dessous-Verkäuferin an ihren Träumen und wird viel zu dick dabei. Wie lange will sie noch darauf warten, dass etwas passiert?

Glücklicherweise fragt ein ordentlicher Schlamassel nicht nach dem richtigen Timing. Als Marcia wieder einmal missmutig zur Arbeit trottet, kreuzt sie den Weg der hübschen Mao, die zusammen mit ihrer Freundin Lenin ein ganz besonders schlitzohriges Gespann bildet. Kein Motorroller, kein Taxi ist vor ihnen sicher, nun ist Marcia dran. Herrlich, wie Mao sich ihr entgegenschlenzt. „Willst du ficken“, fragt sie und duldet kein Nein. Und Marcia, verängstigt und beleidigt in einem, findet keinen Weg aus der vertrackten Situation. Im Gegenteil, schon schwirrt ihr Kopf von Maos unverblümtem Stakkato. „Liebe, die unerklärbar ist, kann bewiesen werden. Und der Liebesbeweis ist gleich viel wert wie das Gefühl“, kann sie sich anhören, und dann fackeln die beiden nicht lang: Marcia wird gekapert, auf geht´s ans Meer.

Kaum der Enge der Stadt entronnen, holt „Aus heiterem Himmel – Tan de repente“ ganz tief Luft, wird zum Roadmovie und zelebriert die kleinen Dinge. Den Blick aufs Meer, die unspektakulären Landstraßen und schließlich der Besuch bei Lenins alter Tante. Die Zeit tropft träge, in der sie Hühner füttern, Schnaps süffeln, Erinnerungen nachhängen und sich minutiös verführen.

Sehr lebendig ist das und bestechend cool – Regisseur Diego Lerman ist selbst erst 27 Jahre jung. Sein Spielfilmdebüt, 2002 in Locarno mit dem Silbernen Leoparden ausgezeichnet, zehrt von starken Kontrasten, konsequent bringt er die innere Verlorenheit seiner Figuren in Schwarzweiß zum Leuchten. Es spricht für ihn, dass er sich damit nicht begnügen will. Mit entwaffnender Ironie, unverblümten Dialogen und überraschenden Wendungen fordert er von seinen Heroinen Veränderungen. Und ganz allmählich geht ihren punkigen Provokationen die Puste aus, um einer anrührenden Zärtlichkeit zu weichen. Schön.

Filmbühne am Steinplatz, fsk, Hackesche Höfe (alle OmU)

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