zum Hauptinhalt

Kultur: Zuckerpuppe aus der Putztruppe

OPERETTE

Entstaubte Operette wollte Marcel Krohn auf die Freilichtbühne Spandau an der Zitadelle bringen: Eine zeitgemäße Version von Oskar Nedbals „Polenblut“ für Schauspieler und Mini-Orchester, die sowohl Menschen mit Spaß am Sozialsatirischen wie Traditionalisten gefallen sollte. Leider ist das viel schwerer, als den k.u.k.-Klassiker von 1913 einfach nur stadttheatertypisch auf die Bühne zu stellen. Wer es optisch brav mag (historische Kostüme!) und wer sich von den überlangen Dialogpassagen nicht schrecken lässt, weil er mal wieder Nedbals charmante Melodien hören möchte, könnte an einem lauen Sommerabend in Spandau durchaus auf seine Kosten kommen (bis 3.8.).

Alle anderen sollten unbedingt den entgegengesetzten Weg einschlagen, Richtung Neuköllner Oper : Dort läuft, ebenfalls bis zum 3. August, noch einmal die grandiose Produktion von Eduard Künnekes „Herz über Bord“ . Andreas Bisowski hat die 1935 uraufgeführte Partnertausch-Komödie textlich radikal entkernt und daraus eine bitterböse Politikersatire um die karrieresüchtige Kanzlerkandidatin Lilli Brand gemacht. Doris Prilop, Eva Thärichen, Rudolf Krause und Gerald Michel sind nicht nur typgenau gecastet, sondern spielen sich in Heidi Mottls rasanter Inszenierung auch gegenseitig an die Wand. Das Beste aber ist, dass dem Zuschauer bei allem Szenenwirbel und Wortwitz für Momente des Schreckens immer wieder ein Blick in tiefste Seelenabgründe zugemutet wird. Weil hier keine knuddeligen Knallchargen agieren, sondern glaubwürdige Charaktere. Weil das Leben eben so ist. Und weil entstaubte Operette nur so funktionieren kann.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false