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Dank an die Türkei. Bundespräsident Richard von Weizsäcker übergibt 1981 einen Gedenkstein auf dem Gelände der Universität Istanbul, um für die Asylgewährung deutscher Hochschullehrer von 1933 bis 1945 zu danken. Unter den politischen Emigranten befand sich auch der spätere Regierende Bürgermeister Berlins, Professor Ernst Reuter.

© dpa

„Zuflucht am Bosporus" über NS-Verfolgte in der Türkei: Wie deutsch war es in Istanbul

Nach 1933 emigrierten deutsche Intellektuelle in die Türkei, unter ihnen Fritz Neumark. In einer Studie, die sich wieder zu lesen lohnt, porträtierte er prominente Exilgefährten wie Ernst Reuter.

Von Caroline Fetscher

Aus allem, was wir heute erleben, kann morgen ein Buch, eine Erzählung, eine historische Studie werden. Vielleicht wird es einmal Arbeiten geben mit Titeln wie: „Diskursstrategien der ,Ankara-Ausfälle’ von 2017“. Oder: „Zum Einbruch der türkischen Tourismusindustrie im frühen 21. Jahrhundert. Ursachen und Hintergründe“. Aus seinem Palast heraus betreibt der amtierende Präsident der Türkei, Recep Tayyip Erdogan, derzeit eine Kampagne für sich als Alleinherrscher. Haltlose Anwürfe hagelt es gegen „die Nazi-Methoden“ der Kanzlerin oder „Europa auf dem Weg in den Faschismus“. Die Noch-Demokratie Türkei, und die demokratische Bundesrepublik, könnten sich gerade jetzt an die tiefe Verbundenheit erinnern, die es zwischen ihnen gab, als Deutschland tatsächlich Diktatur und die Türkei ein Zufluchtsort für deutsche Demokraten war. Auch aus diesem Damals sind später Bücher geworden, besonders lebendig ist das – derzeit leider nur in Bibliotheken und antiquarisch erhältliche – des Finanzwissenschaftlers Fritz Neumark, der 1933 nach Istanbul emigriert war: „Zuflucht am Bosporus – Deutsche Gelehrte, Politiker und Künstler in der Emigration 1933–1953 (Josef Knecht, Frankfurt a.M.1980).

Tausende deutscher Emigranten waren direkt am Aufbau der Türkei beteiligt, politisch wie rassisch Verfolgte. Verblüffend, teils umwerfend sind die Geschichten der Communities in Ankara und Istanbul. Neumark porträtiert seine Fachkollegen Wilhelm Röpke, Alexander Rüstow, Gerhard Kessler und Alfred Isaac und Andreas Bertholan Schwarz, Professor für Römisches Recht und Zivilrecht, oder den Physiker Hans Reichenbach. In Istanbul konnte man Erich Auerbach treffen, Autor des berühmten Werkes „Mimesis“, oder den Romanisten Leo Spitzer. Es unterrichteten der Philosoph Ernst von Aster und der Orientalist Hellmut Ritter, der zum Lesen von arabischen Handschriften nur Petroleumlampen erlaubte, der klassische Philologe Walter Kranz, der Ordinarius für Botanik, Alfred Heilbronn, der den Botanischen Garten von Istanbul einrichtete und seine türkische Mitarbeiterin Fatma Mehpare Basarman heiratete. Wirkungsfelder fanden die Astronomen Hans Rosenberg und Wolfgang Gleissberg und der Zoologe Curt Kosswig erforschte die Vogelinsel Kusadasi. Praktiziert haben Mediziner wie Rudolf Nissen, Wilhelm Liepmann, Joseph Igersheimer und Friedrich Dessauer.

Ernst Reuter arbeitete im Finanzministerium in Ankara

Viele besaßen Professuren an der „Üniversitesi Istanbul“ und lebten im Vorort Bebek, wo man ein Morgenbad im Wasser des Bosporus nehmen konnte. Auch in Ankara lehrten zahlreiche Deutsche. Man besuchte einander, Väter, Mütter, Kinder lernten Türkisch und liebten das Land. Die Türken, schrieb Neumark, waren „menschlicher, spontaner, wärmer und höflicher“ als die Deutschen. Auch den berühmtesten Türkei-Emigranten Ernst Reuter kannte Neumark gut – und bewunderte dessen Raffinesse beim Skat. Reuter, Berlins späterer Oberbürgermeister, der in Moskau gelebt hatte, bis 1922 Kommunist und danach Sozialdemokrat war, hatte Verfolgung und KZ-Haft erlebt.

Sein Türkisch war exzellent, er arbeitete im Finanzministerium in Ankara als Experte für Tariffragen und als Hochschullehrer für Stadtplanung. Häufig besuchte Reuter die Neumarks, mit Ehefrau Frau Hanna und Sohn Edzard, genannt „Edzi“, dem späteren Daimler-Vorstand. Warum hat eigentlich noch kein Regisseur den sensationellen Spielfilmstoff entdeckt, der in Reuters Leben steckt?

1933 waren die deutschen Emigranten zum Empfang durch Außenminister Tevfik Rüstu Aras für den russischen Marschall Kliment Woroschilow geladen, es war der 10. Jahrestag der Republikgründung. Vor dem Empfang im Dolmabahçe, dem „Prototyp eines orientalischen Traumschlosses“, mussten sie zum Schneider, der für den obligaten Frack nur drei Tage brauchte. Neumark erinnert sich, wie seltsam den Deutschen zumute war, „die gerade aus dem Nazireich gekommen waren“, als sie „neben dem türkischen Halbmond das russische Hammer-und-Sichel-Wappen erblickten“ und als nach der türkischen Nationalhymne die „Internationale“ erklang.

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