zum Hauptinhalt
Im Gespräch: Dieter Kosslick mit seiner obersten Dienstherrin, Kulturstaatsministerin Monika Grütters.

© Jörg Carstensen/dpa

Zukunft der Berlinale: Mit oder ohne Dieter Kosslick?

Dieter Kosslicks Vertrag als Berlinale-Chef läuft bis 2019. Die Diskussion über die Zukunft des Festivals hat begonnen. Aber die Beteiligten halten sich bedeckt, auch bei der Frage, ob es eine Doppelspitze geben soll.

Nein, es brauchen noch keine Nachrufe auf die Ära Dieter Kosslick geschrieben zu werden. Auch wenn es manchen ungeduldig danach drängt. Zwei weitere Festivals wird der seit 2001 amtierende BerlinaleDirektor noch bestreiten, sein Vertrag endet erst am 31. Mai 2019. Trotzdem ist es an der Zeit, über die Zukunft der Filmfestspiele nachzudenken und sich auf die Suche nach einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin zu machen.

Wer die Leitung der Berlinale übernimmt, wer dieses riesige Festival mit 400 Filmen und elf Nebenreihen weiter durch die stürmische digitale Gegenwart steuert, braucht einen längeren Vorlauf. Ob es nun auf die alleinige Chefposition hinausläuft wie bisher oder auf eine Doppelspitze: Bis zur nächsten Berlinale 2018 sollten die Verträge unterschriftsreif sein.

Aber nicht bis übermorgen. Die „B.Z.“Meldung, dass in Berliner Regierungskreisen die Nichtverlängerung von Kosslicks Vertrag beschlossene Sache sei, hat Dieter Kosslick jedenfalls amüsiert. „Niemand hat meinen Vertrag bisher nicht verlängert“, sagte er dem Tagesspiegel. Er sei gerade gutgelaunt von einer Fastenkur zurückgekehrt („5 Kilo!“) und bereite frohgemut die nächste Berlinale vor. Ansonsten versichert er, dass er seinen Job sehr gerne mache und bis 31. Mai 2019 Chef bleibe. Einen Tag vorher wird Kosslick 71. Mehr möchte er zum Thema (Nicht-)Verlängerung nicht sagen.

Die Kulturstaatsministerin bestätigt: Es gibt einvernehmliche Gespräche

Die Zukunft ist längst nicht in Sack und Tüten, deshalb halten sich alle Seiten bedeckt. „Herr Kosslick und Frau Grütters sind in einvernehmlichen Gesprächen über die Weiterentwicklung der Berlinale für die nächsten Jahre. Dabei geht es natürlich auch um das Personaltableau,“ heißt es aus dem Haus der CDU-Kulturstaatsministerin. Personalpolitik ist diffizil. Kandidatenvorschläge und Vertragsdetails werden obsolet, wenn sie zu früh an die Öffentlichkeit geraten. Deshalb äußern sich Monika Grütters und Kosslick jetzt nicht genauer. „Wie sich das Personaltableau gestalten wird, werden wir erst presseöffentlich besprechen, wenn die Entscheidungen abschließend gefallen sind“, so Grütters’ Pressesprecher.

Bei den anderen großen Filmfestivals ist die Gewaltenteilung längst üblich

Die Sache nimmt Fahrt auf. Und die Aufteilung der Berlinale-Leitung wird wohl ernsthaft erwogen. Grütters ist bekanntlich offen für unkonventionelle Lösungen und komplizierte Leitungsstrukturen – das Humboldt-Forum hat drei Gründungsintendanten, mit Neil MacGregor als Leiter. Auch ein A-Festival wie die Berlinale (A heißt: Es gibt einen Wettbewerb mit internationalen Premieren) ist ein gewaltiger Tanker. Bei den beiden anderen weltwichtigsten Filmkunstwettbewerben, in Cannes und Venedig, ist die Gewaltenteilung seit jeher Usus. In Cannes fungiert Pierre Lescure als Präsident – als Nachfolger des langjährigen Patriarchen Gilles Jacob –, während Generalsekretär Thierry Fremaux (56) fürs Programm verantwortlich zeichnet. In Venedig ist Alberto Barbera (67) als künstlerischer Leiter dem Biennale-Präsidenten Paolo Baratta unterstellt.

Kosslick gilt als meisterlicher Gastgeber: Hier 2016 mit Jury-Präsidentin Meryl Streep.
Kosslick gilt als meisterlicher Gastgeber: Hier 2016 mit Jury-Präsidentin Meryl Streep.

© John MACDOUGALL/AFP

Bei der Berlinale kommt hinzu, dass sie sich neben Toronto zum größten Publikumsfestival ausgewachsen hat. Den Nebenreihen Panorama, Forum, Retrospektive und Kinderfilmfest (heute: Generation) fügte Kosslick vier weitere hinzu, die Perspektive Deutsches Kino, die Specials, das Kulinarische Kino, Native (für indigene Filme) sowie Berlinale goes Kiez. Und er rief die Berlinale Talents ins Leben, einen umfangreichen mehrtägigen Workshops für Nachwuchs-Filmschaffende aus aller Welt.

Die Berlinale zeigt 400 Filme, Cannes 130

Der Chef muss sich mit seinen Sektionsleitern also um ein weit größeres Programmspektrum kümmern als die Kollegen in Cannes und Venedig. Vom möglichst reibungslosen Ticketverkauf und der Logistik attraktiver Publikumsveranstaltungen abgesehen. 336 000 verkaufte Kinokarten, 400 Filme – in Cannes beläuft sich die Zahl auf ein Drittel. Kein anderer Festivalleiter braucht so viele Kompetenzen. Er oder sie muss mit dem Auswahlkomitee einen anspruchsvollen Arthouse-Wettbewerb kuratieren, international in der Branche vernetzt sein und Politik wie Sponsoren bei Laune halten. Hinzu kommt der boomende European Film Market und die hohe Kunst des Socialising.

Dieter Kosslick, das sagen auch seine Kritiker, ist der beste Gastgeber der Welt. Er hat das Festival in eine charmante, moderne, Berlin-gemäß nicht allzu glamouröse zehntägige Party verwandelt. Die Beliebtheit beim Publikum und die Ausdifferenzierung des Programms sind sein Verdienst. Aber er steckt auch jedes Jahr mehr Schelte ein, von Erschöpfung und Verschleiß ist die Rede. So viel Programm, ein wucherndes Ungetüm, das macht der Berichterstattung Probleme. Also meckern die Berichterstatter. Und fast schon rituell heißt es, die Berlinale hat ein schwaches Herz, im Wettbewerb tauchen zu wenige Stars auf, zu viele no names, nicht genügend starke Filmkunst.

Kein noch so gewitzter Berlinale-Chef kann die Oscar-Nuss knacken

Nun gibt es stärkere und schwächere Jahrgänge – 2017 gehörte trotz des fabelhaften ungarischen Siegerfilms „On Body and Soul“ zu letzteren. Der Wettbewerb in Venedig fällt oft nicht besser aus, nur dass jährlich ein Hollywoodwerk wie „La La Land“ dabei ist. Eins. Oder zwei.

Kosslick mit der ungarischen Regisseurin Ildikó Enyedi, Goldbären-Gewinnerin 2017.
Kosslick mit der ungarischen Regisseurin Ildikó Enyedi, Goldbären-Gewinnerin 2017.

© GregorFischer/ dpa

Stichwort Hollywoodstars. Kein noch so gewitzter Chef kann die Oscar-Nuss knacken. Seit der Vorverlegung der Academy Awards ist die Berlinale als Plattform für Oscar-Kandidaten uninteressant geworden – ein strukturelles Dilemma. Die wichtigsten US-Filme der Saison feiern auf den Herbstfestivals Premiere, und da sich die Berlinale wegen der Feier- und Ferientage Ende Dezember nicht vorverlegen lässt, ist eine gesunde Wettbewerbsmischung aus anspruchsvolleren Starvehikeln und Weltkino kaum mehr möglich. Kosslicks Team setzt deshalb auf Arthouse und Autorenfilme. Die Rechnung geht auf, wenn ein Jafar Panahi aus Iran „Taxi Teheran“ mitbringt. Und sie lässt einen unbefriedigt zurück, wenn neben einem herausragenden Ungarn bestenfalls Ungewöhnliches läuft.

Die Berlinale braucht einen künstlerischen Leiter, der sich voll aufs Hauptprogramm konzentrieren kann. Die Gewaltenteilung ist überfällig. Die Personalfrage ist dann immer noch schwer zu beantworten. Medienboard-Chefin Kirsten Niehuus, deren Name häufig fällt, ist national bestens vernetzt, aber international nicht. Wie Kosslick käme sie aus der Filmförderung, das wurde ihm oft genug vorgehalten. Und: Niehuus wird 60 im Jahr 2019. Allemal wird Verjüngung gewünscht. Bewährte Festivalleiter wie Hans Hurch bei der Viennale sind noch älter, Carlo Chatrian vom Filmfest Locarno macht keinen schlechten Job. Aber reicht das? Was ist mit jüngeren Festivalprogrammierern, etwa vom Filmfest München? Was mit starken, international agierenden Produzentinnen? Weltvertriebsleuten?

Auch die Ortsfrage stellt sich: Der Mietvertrag für die Berlinale läuft aus

Was die anderen Aufgaben betrifft, ist es vielleicht nicht falsch, das Knowhow von Kosslick als obersten Gastgeber der Filmnation weiter für die Berlinale zu nutzen. Kosslick als Ehrenpräsident? Die Spatzen pfeifen es von den Dächern, dass genau darüber derzeit verhandelt wird. So lässt sich auch Kosslicks Satz im Tagesspiegel-Interview vom Februar deuten, beim Projekt eines Filmhauses neben dem Martin-Gropius-Bau als neue Berlinale-Heimstatt wäre er gerne dabei.

Die Zukunft der Berlinale ist offen, auch das Projekt eines neuen Festivalzentrums steht auf der Agenda. Die Mietverträge der Berlinale bei der Stage Entertainment am Potsdamer Platz laufen Ende 2018 aus, die der Stage Entertainment 2022. Grütters wird all das vor der Bundestagswahl im September nicht abschließend lösen können. Wer weiß, wer nach der Wahl Kulturstaatsministerin bleibt oder wird. Die Weichen für die Berlinale sollten vorher gestellt werden.

Zur Startseite