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Zukunft der Musikindustrie: Alles fließt ab

Gleich drei Kongresse in Berlin widmen sich derzeit der Zukunft der Popmusik. Den Anfang macht das Hebbel am Ufer. Unter dem Titel „Dancing with myself“ wurde engagiert diskutiert. Auch verlorene musikalische Aura kam zurück.

Glaubt man Jaques Attali, lässt sich im Pop die Zukunft lesen. Musik, erklärte der Vordenker der Internet-Ökonomie im HAU, organisiere Lärm, so wie die Gesellschaft Gewalt. All die sozialen Transformationen der Moderne hätten sich in musikalischen Praktiken vorbereitet: Das wechselseitige Parodieren von Straßen- und Hofmusik kündete vom Ende der Monarchie, der bürgerliche Konzertmusiker vom freien Markt, das Grammophon von der Konsumgesellschaft. Es ließe sich hinzufügen, dass erst das Internet die Arctic Monkeys nach oben brachte und dann auf dieselbe Weise den neuen amerikanischen Präsidenten.

Als im diskursfreudigen Hebbel am Ufer über die Zukunft von Musik, Geld und Gemeinschaft nach der Digitalisierung nachgedacht wurde, ging es also um mehr als Musik. Es ging um die Frage, wie sich der Austausch kultureller Güter denken lässt, wenn materielle Träger überflüssig werden. Wie sich Öffentlichkeit herstellt, wenn jeder Produzent und Kritiker sein kann – „Dancing with myself“, wie der Festivaltitel Billy Idol zitierte.

Der Katzenjammer über den Niedergang der Musikindustrie, die dem Internet noch immer restriktiv statt produktiv begegnet, ist vorüber. Zusammen mit dem Club Transmediale und dem Festival Audio Poverty im Februar suchen derzeit gleich drei Berliner Veranstaltungen Perspektiven für die Zeit nach der Digitalisierung. Die Ausblicke auf das, was kommen werde, nahmen sich im HAU so vielfältig aus wie die vertretenen Akteure. Schon Attali schwankte in seinem fulminanten Eröffnungsvortrag zwischen der Utopie einer Gesellschaft freier Komponisten, in der sich jeder in den Produktionsprozess einschalten kann und dem Schreckensszenario eines Polizeistaats, der im Namen der Urheberrechte die Technologie zu totaler Kontrolle nutzt. Der Krieg um die Nutzungsfreiheit wird derzeit geführt. Aber von Euphorie angesichts neuer Möglichkeiten der Teilhabe, von Ausdruck und Austausch war erschreckend wenig zu spüren. Stattdessen die herkömmliche Popkritik als „Hofberichterstattung“ einer erledigten CD-Industrie gebrandmarkt. Mancher rief gar im Namen der Popkultur nach dem rettenden Staat.

Um die Pop-Öffentlichkeit muss man sich zumindest nicht sorgen. Das von Tobi Müller und Christoph Gurk hervorragend kuratierte Festival erfuhr überraschend starken Zuspruch. Die versammelte Pop-Intelligenz der Hauptstadt gab sich das Mikro in die Hand und folgte andachtsvoll dem ersten Berlin-Konzert der Young Marble Giants seit 28 Jahren, das spüren ließ, was Musik verloren hat: Aura. Matthew Herbert demonstrierte in einer geschichtsträchtigen Konzept-Performance mit Big Band, wie im virtuosen Spiel mit analogen und elektronischen Mitteln weiterhin Einzigartigkeit produziert werden kann. Ein souveränes Fanal.

Nur fünf Prozent aller Downloads werden bezahlt. Das entspricht in etwa dem Anteil, den das Downloadgeschäft am Gesamtumsatz der Musikindustrie hat. Während sich neue Vertriebswege etablieren, wie der Handel mit hochwertigen Dance- Tracks über das Portal www.beatport.com, wird bereits das Ende von Mp3 ausgerufen. Wozu überhaupt noch Downloads, wozu überhaupt noch Festplatten? Über kurz oder lang, das immerhin bildete sich als vager Konsens heraus, wird der Audiostream aus globalen Archiven das Soundfile ablösen. Man wird Musik über den Computer hören, ohne dass sie „gespeichert“ wird. So wie es Rundfunkgebühren gibt, dürfte sich eine umfassende Kulturflatrate durchsetzen. Dieser automatisierte Geldfluss könnte dazu führen, wie Tobi Müller andeutete, dass die Akteure ausgetauscht würden, aber die Strukturen erhalten blieben.

Ins Abseits gerät dabei die Musikkritik. Nach der Theorie des „Long Tail“ stärkt der Internet-Vertrieb die Vielfalt von Nischenprodukten gegenüber dem Mainstream, so dass Markt und Öffentlichkeit in viele Segmente zerfallen, ohne dass noch Vermittlung stattfände, wie Diedrich Diederichsen in der „Süddeutschen Zeitung“ warnte. Wer liest noch Musikkritiken, wenn die Jugend sich über Geschmacksprofile auf Last.FM kennenlernt und trashige YouTube-Parties feiert?

„Das Tolle an Techno war doch immer, dass es viel zu laut war, um sich zu unterhalten.“ So begegnete Ulf Poschardt der Sehnsucht nach einer kritischen Instanz und intellektueller Deutungen von Pop. Wo aber kein Reden mehr möglich ist, da greifen neue soziale Praktiken: Im Stampfbeat der Technik geht das alte Ideal einer kommunikativen Vernunft unter. Neue, mystische Öffentlichkeitsformen kündigen sich an, in denen es ums Dabeisein geht, um ein Verstehen ohne viele Worte.

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