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Zum 100. Geburtstag von Wols: Zeig mir deine Seele

Das Kupferstichkabinett in Dresden und die Kunsthalle Bremen würdigen den großen Maler des Informel und entdecken ihn neu als Fotografen, der sich in den Straßen von Paris inspirieren ließ

Paris, Weltausstellung 1937. Auf einer über sieben Meter breiten Leinwand führt das republikanische Spanien vor, was es heißt, Opfer deutscher Bomben zu sein. Gezeigt wird „Guernica“, Picassos später bekanntestes Gemälde. Zugleich wird das Marsfeld von Albert Speers Monumentalbau des deutschen Faschismus dominiert. Im Pavillon de l’Elégance hingegen macht sich ein anderer Deutscher mit seinem Fotoapparat zu schaffen: Alfred Otto Wolfgang Schulze, emigriert seit 1932 – seit 1937 führt er den Künstlernamen Wols – ist exklusiv mit den Bildrechten an dem Pariser Modepavillon betraut.

Wols’ zeitlebens einträglichster Auftrag ist Angelpunkt einer der beiden reichhaltig bestückten Ausstellungen, die derzeit zu Wols’ 100. Geburtstag ausgerichtet werden. In Dresden zeigt das Kupferstichkabinett erstmals den umfassenden Bestand an gut tausend Fotografien, die ihm kürzlich aus dem Nachlass von Wols’ Schwester zugekommen sind. In Bremen versammelt derweil die Kunsthalle die Hälfte der nur achtzig Gemälde, die Wols bis zu seinem frühen Tod 1951 geschaffen hatte. Außerdem ist eine großartige Auswahl an Tuschzeichnungen aus den frühen vierziger Jahren zu sehen.

Schulze, 1913 in Berlin geboren und in den Zwanzigern in Dresden aufgewachsen, war niemals Modefotograf. Seine Aufnahmen aus dem Pariser Pavillon feiern denn auch weniger die kommerziellen Schöpfungen der Haute Couture. Sie fangen stattdessen ein theatral dramatisiertes, von Puppen bevölkertes und von Stoffen drapiertes Ambiente ein, das sich wohltuend von der Indifferenz des Art Déco absetzt. Allenfalls das Fotoporträt ist damals für kurze Zeit Wols’ Fach. In Dresden sind immerhin an die 600 Abzüge verwahrt, die – inzwischen seriell auf großen Passepartouts aufbereitet, als zählten sie zum „Atlas“ von Gerhard Richter – ein Panoptikum der Pariser Dreißiger-Jahre-Bohème aus Literaten und Schauspielern vorstellen, aus Verwandten und Bekannten, aus Models und bildenden Künstlern.

Das fotografische Œuvre von Wols ist ohnehin erst spät, seit gut 30 Jahren, mit Ausstellungen in Wuppertal und Hannover für eine breitere Öffentlichkeit entdeckt worden. Die frühen Werke sind noch vom Surrealismus geprägt. Bekannt wurde der Künstler vor allem durch seine ungegenständlichen Gemälde, die in Paris in den wenigen letzten Lebensjahren nach dem Weltkrieg entstehen. Farbschichten überlagern hier einander, deren oberste mit einer Grattagetechnik bearbeitet ist, so dass sie wie schrundige Reliefs erscheinen. Der Künstler wurde mit ihnen zum Wegbereiter des europäischen Informel, einer neuen Expressivität. Was auf den ersten Blick wie spontaner Ausdruck wirkt, wie die physische Artikulation eines Seelenzustands, ist jedoch keineswegs das Ergebnis eines spontanen Arbeitsprozesses, sondern bewusst durchkomponiert. In der kunstgeschichtlichen Literatur wurden die Werke lange Zeit mittels biografischer Stereotypen interpretiert: Von der Alkoholabhängigkeit war die Rede, von den Erfahrungen im Internierungslager bis hin zu den Folgen körperlicher und psychischer Zerrüttung. Wie viel Wols’ Arbeiten mit ihrem zeitgenössischen Kontext gemeinsam hatten, wie viel sie etwa mit den Werken von Jean Fautrier verbindet, der 1945 in derselben Galerie Drouin ausgestellt hatte, die kurze Zeit später auch Wols präsentierte, kann die monografische Schau naturgemäß nicht zeigen.

Abhilfe schafft der Katalog. Hier wird einsichtig, wie sehr die Affinitäten zu Fautrier, zu Wolfgang Paalen und auch zu Jackson Pollock das Œuvre von Wols für seinerzeit neu-amerikanische Sammler wie Jean und Dominique de Menil attraktiv gemacht hatten. Die Bremer Ausstellung wird denn später auch in der Menil Collection in Houston gezeigt werden.

Am erhellendsten jedoch erweist sich ein Blick in die Frühzeit. 1931 volontierte Wolfgang Schulze in Frankfurt am Main am Forschungsinstitut für Kulturmorphologie bei Leo Frobenius. Was er dort unter anderem kennenlernte, waren konkrete Gebilde auf afrikanischen Felsbildern, die Frobenius mangels anderweitiger Herleitung als „Formlinge“ bezeichnete. Für so manche Arbeit von Wols haben sie vermutlich Pate gestanden. Henrik Feindt

Kunsthalle Bremen, bis 11.8.; Kupferstichkabinett Dresden, bis 26. 8.; Kataloge (Hirmer bzw. Hatje Cantz Verlag) 29 € und 39 €, im Buchhandel 45 € und 68 €.

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