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Hommage an die Weberinnen in Tibet. Eva Castringius erinnert mit ihrer Installation "Lungta" an die Gebetsfahnen im Himalaya.

© Jan Brockhaus, Courtesy Eva Castringius Eva Castringius

Zum 20. Mal Rohkunstbau auf Schloss Roskow: Aufstand mit Kaffee und Kuchen

Künstlers Landpartie: Die Sommerkunstausstellung feiert Jubiläum. Erneut hat sie auf Schloss Roskow nördlich von Potsdam ein Domizil gefunden, diesmal sind zwölf Künstler zu Gast. Das Thema der Schau lautet Revolution.

Am Fenster von Schloss Roskow im Landkreis Potsdam-Mittelmark klebt ein Stein, ordentlich die eine Hälfte innen, die andere außen befestigt, als wäre er in seinem Flug aufgehalten worden. Statt Scherben beschert Alicja Kwade mit ihrer kleinen Intervention ein Schelmenstück. Die in Berlin lebende polnische Künstlerin ist eine Meisterin der Verdrehung von Fakten. Uhren ticken bei ihr andersherum, und was im Alltag gerade ist, ob Türen, Fenster, sogar ein Fahrrad, folgt bei ihr den Gesetzmäßigkeiten eines imaginär auf den Boden gezeichneten Kreises.

Auch mit ihrem zweiten Beitrag für die Sommerausstellung Rohkunst-Bau auf Schloss Roskow zum Thema Revolution – ein gevierteilter Tisch, dessen wieder zusammengesetzte Einzelteile durch Spiegel getrennt sind – hebelt sie die geltenden Gesetze aus. Statt wortgewaltiger Auseinandersetzungen, wie man sie von Revoluzzern erwarten würde, liefert die Bildhauerin eine Allusion auf Spiegelfechtereien. Die Gesprächspartner an ihrem Tisch würden nicht den anderen, sondern nur sich selbst sehen.

Was kann Revolution heute überhaupt noch sein? Diese Frage stellt sich die 20. Ausgabe des brandenburgischen Kunstunternehmens, das seit Anfang der neunziger Jahre durch die Schlösser des Landes tourt. Nicht dass Arvid Boellert, der das Projekt in einem noch aus DDR-Zeiten stammenden Rohbau im Spreewald begründete (daher der eigenwillige Name), zu Angriffen auf Autoritäten neigt. Wohl eher das Gegenteil. Nichts wäre ihm lieber, als die Anerkennung vom Establishment in Form von Fördermitteln zu gewinnen, um Rohkunst-Bau ins nächste Dezennium zu retten.

2012 fiel die international ambitionierte Ausstellung aus, weil das Land kurzfristig seine zugesagten Gelder strich und prompt weitere Sponsoren kniffen. 2013 fand sie erstmals wieder auf Schloss Roskow im Havelland nördlich von Potsdam statt, das sich im Besitz eines Fördermitglieds von Rohkunst-Bau befindet. Dort soll die Schau vorläufig bleiben, die zuvor auf Schloss Groß Leuthen im Spreewald, Schloss Sacrow, in der Villa Kellermann in Potsdam und zuletzt auf Schloss Marquardt Station gemacht hat. Der größte Geldgeber sind inzwischen die am Wochenende anreisenden Besucher, charmant mit Streuselkuchen und Schmalzbroten von der Dorfbewohnerschaft Roskows bewirtet. Eine Revolution ganz eigener Art, und das ausgerechnet auf einem Schloss.

So will das diesjährige Thema von Rohkunst-Bau auch nicht recht zünden. Kurator Mark Gisbourne geht mit seinem von Wagner inspirierten Zyklus in die dritte Runde, nachdem er zuvor „Macht“ und „Moral“ abgearbeitet hat. Der Überbau mag nötig sein, um die lockere Reihe zusammenzuhalten und dem Kunstprojekt mehr inhaltliche Tiefe als nur die Vergnügung einer Landpartie zu verleihen. Glücklicherweise bestehen die Werke der zwölf geladenen Künstler auch ohne diese Bedeutungshuberei.

Ob mit oder ohne Revolution als Thema, das Konzept geht wieder auf: Neben der Location ist es die interessante Mischung aus bekannten und weniger bekannten Künstlern. Dass wegen der finanziellen Probleme mit noch weniger Vorbereitungszeit als im Vorjahr die Ausstellung eingerichtet werden konnte, stört sie nicht. Dass sie sich nur auf die Räume im Erdgeschoss und das Treppenhaus beschränkt, lässt sie allerdings gefährlich schmal aussehen. Mit einer gewissen Wehmut erinnert man sich der opulenten Präsentationen noch in Groß Leuthen, Sacrow und Marquardt. Dort waren großräumige Installationen zu sehen und wurden internationale Stars aufgefahren wie Louise Bourgeois, Richard Hamilton oder die Chapman-Brüder. Die Berliner Größen von Mona Hatoum, Monica Bonvicini bis Thomas Demand gaben sich im Laufe der vergangenen Jahre alle irgendwann einmal ein Stelldichein. Zugleich waren immer interessante Entdeckungen zu machen, Rohkunst-Bau galt als Pool für neue Namen.

Diesmal bilden zwei kapitale Maler das Zentrum: Erik Schmidt und Ruprecht von Kaufmann. 2011 erlebte Schmidt in New York die Occupy-Bewegung mit und fotografierte am Zuccotti-Park. Die Aufnahmen bilden die Grundlage seiner „Downtown“-Serie, eine Übersetzung ins Pastose, Historienmalerei aktuellster Art. Rückblickend sind die Gemälde ein Abgesang auf den Aufstand der Städter. Der heroische Akt verlief sich, auch diese Revoluzzer zwangen die Kapitalisten nicht in die Knie.

Ruprecht von Kaufmann dagegen entschwindet gleich in träumerische Sphären, seine Nachtmalerei hinterlässt nur ein vages Gefühl der Gefährdung. Der schwebende rosa Elefant bezieht sich allerdings konkret auf eine Form des Widerstands. Um die staatliche Zensur in der DDR auszutricksen, legten die Künstler zunächst Provokantes vor, jenen rosa Elefanten, der den Beamten gleich ins Auge stieß, um dann mit den eigentlichen Werken durchzuschlüpfen.

Auch Eva Castringius versteht Revolution eher als Haltung denn als Bewegung. Ihre an die Gebetsfahnen der Tibeter erinnernde Installation ist eine Hommage insbesondere an die Teppichknüpferinnen des Landes, die ihre Muster und Traditionen der offiziellen chinesischen Politik zum Trotz hochhalten. An den gespannten Fäden hängen Bilder von Flüchtlingslagern, tibetischen Wallfahrern, der vom Rohstoff-Abbau gezeichneten Landschaft, welche Castringius bei ihrem letzten Besuch gemacht hat. Es ist ein Künstlergebet gen Himalaya. Nasan Tur hat diesen Glauben längst verloren. Der Graffiti-Sprayer unter den Berliner Künstlern sprüht „Revollusion“ mit roter Farbe schwungvoll an eine Wand. Bei ihm verliert sich die anarchische Geste in einem verräterischen Schreibfehler, der Kampf ist der Illusion anheimgefallen.

Recht hat er: Von den Künstlern wäre es zu viel verlangt, sollten sie erklären, wie Revolution heute funktioniert, warum es sich lohnt, auf die Straße zu gehen. Stattdessen konstatieren sie Zustände wie die Israelin Smadar Dreyfus mit ihrem 360-Grad-Filmschwenk am Strand von Jaffa, der ein gesellschaftliches Panorama vorführt: Menschen unterschiedlicher Religionen, Geschlechter, sozialer Herkunft – friedlich vereint an einem Sommerabend. Die Kraft der Poesie hält sie zusammen, die Explosivität im Lande ist für einen Moment vergessen. Revolutionen beginnen mit Erkenntnis und Wunschdenken. Im Großen wie im Kleinen, in der Welt und vor der Tür.

Schloss Roskow, Eröffnung heute, 5. 7., 14 Uhr, bis 21.9., www.rohkunstbau.de

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