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Held der Nation. Anton von Werners Gemälde „Die Enthüllung des Richard-Wagner-Denkmals“ im Tiergarten von 1908.

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Zum 200. Geburtstag von Richard Wagner: Der Mythos wohnt im Wald

Richard Wagner im Jubiläumsjahr: Der Politologe Herfried Münkler über die Melancholie des „Rings“, die musikalische Arbeit am Nationalstaat und das Selbstverständnis der Deutschen. Der Autor des Buches "Die Deutschen und ihre Mythen" erklärt, warum Wagner der Komponist in Deutschland ist.

Herr Münkler, das monumentale Werk von Richard Wagner, dessen 200. Geburtstag am 22. Mai gefeiert wird, fällt historisch in etwa mit dem Prozess der deutschen Reichsgründung zusammen. Nietzsche nannte es ein „nationales Unternehmen“. Ist Wagner eine Art Bismarck der Musik ?

Interessanterweise steht Wagners Werk, jedenfalls der „Ring“, in einem merkwürdigen Spannungsverhältnis zur Neugründung des Reiches. Wenn man ihn politisch liest, erzählt er die große Geschichte eines Vertragspolitikers und eines kleinen Kraftmeiers, allerdings unter dem Gesichtspunkt des Scheiterns. Man könnte sagen: Den Deutschen muss ein zutiefst melancholischer Zug innewohnen, wenn sie gleichsam parallel zu diesem herrlichen Neubeginn, um die Sprache des späten 19. Jahrhunderts aufzunehmen, eine mythische Erzählung für sich adoptieren, die das Scheitern großer politischer Projekte vor Augen führt.

Wagner hat sich wie vor ihm die Frühromantiker intensiv mit Mythen auseinandergesetzt. Welche Rolle kommt ihnen zu?

Mythen sind unverzichtbar bei der Formung kollektiver Identität, weil sie offen sind für das Um- und Forterzählen. Und weil darin im Sinne von Ernst Bloch etwas Unabgegoltenes enthalten ist. Sie bleiben vorläufige Antworten auf ständig neue Herausforderungen. Nehmen wir Patrice Chéreaus sogenannten Jahrhundert- „Ring“: Er ist zurückgebunden an eine altgermanische Vergangenheit, in der das Ganze zum Spiegel der eigenen Gesellschaft wird. Darin zeigt sich die Flexibilität des Mythos.

Es geht im „Ring“ um gesellschaftliche Machtkämpfe, auch um den Konflikt zwischen Macht und Liebe.

Wagner erzählt keine einfache Geschichte über Macht, Gier und Geiz. Wotan und Alberich als Gegenspieler sind zwei Elemente der Genese von Macht und des Abhängigwerdens von Macht. Die sexuelle Askese des Alberich und das lockere, lustvolle Leben des Lichtalben Wotan sind nicht als Gut und Böse, als schön und hässlich gegeneinandergestellt. Alberich ist am Ende eine fast tragisch gescheiterte Figur. Nur der naive Zuschauer lässt sich mit Wotan ein und scheitert mit Wotan in der melancholisch-depressiven Stimmung des Schlusses. Der etwas Klügere hat auch noch den Blick auf Alberich. Insofern sind Wagners Opern, wenn wir sie recht durchleben, im aristotelischen Sinne karthartische Prozesse.

Damit knüpft er an uralte Traditionen an.

Das war bei den Griechen des fünften vorchristlichen Jahrhunderts so, als Aischylos, Sophokles und Euripides die alten mythischen Erzählung aufgegriffen und auf die Bühne gestellt haben, um sie als Reflexionsraum des Athener Volkes zu benutzen. Wagner hat sich ja immer wieder mit Sophokles und Aischylos beschäftigt.

In Ihrem Buch „Die Deutschen und ihre Mythen“ beschreiben Sie den Mythisierungsschub des 19. Jahrhunderts am Beispiel bestimmter Orte und Landschaften, die auch bei Wagner vorkommen, etwa im „Tannhäuser“ oder „Lohengrin“.

In mancher Hinsicht bebildert Wagner Deutschland vom Rhein bis zur Wartburg, Großdeutschland gewissermaßen von Brabant bis Was-weiß-ich-wohin, die Ostsee, die Nordsee. Er hat überall Elemente aufgegriffen. Diese Präsenz ist bei ihm anfangs nicht national ausgelegt. Wie stark dies am Schluss der Fall ist, darüber kann man streiten. Das Wagner’sche Material, die Offenheit der mythischen Erzählungen, ist jedenfalls nationalpolitisch anschlussfähig.

Wagner hat mit der Gründung seines Festspielhauses in Bayreuth 1872 einen neuen markanten Symbolort geschaffen.

Der Grüne Hügel als eine in den Wald geschlagene Stätte des Kulturellen, des Sakralen, passt natürlich wunderbar zum Selbstverständnis der Deutschen, das immer eine antiurbane Schlagseite hat. Bayreuth ist nicht Berlin oder München, sondern nahe beim Wald.

Wagner und sein Antisemitismus

Herfried Münkler (Jahrgang 1951) ist Professor für Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität. Sein Schwerpunkt sind Studien zur politischen Theorie und Ideengeschichte.
Herfried Münkler (Jahrgang 1951) ist Professor für Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität. Sein Schwerpunkt sind Studien zur politischen Theorie und Ideengeschichte.

© picture-alliance/ dpa

Die Nationalsozialisten haben Wagner für sich reklamiert. Ist das ein Missverständnis oder hat Wagner dieser Vereinnahmung Vorschub geleistet?

Er ist sicher nicht unschuldig. Nur ist es schwierig, zu sagen: die Nationalsozialisten. Zunächst mal war es Hitler. Man muss sehen, dass Wagners Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain das Bindeglied war. Schon vor und während des Ersten Weltkrieges setzte er eine bestimmte Linie der Wagner-Interpretation durch, die Wagners Werk aus dem Kulturellen hinüberzieht in eine Fundierung des Weltanschaulichen. Gut, Wagner hatte eine Weltanschauung. Aber Chamberlain und andere setzen durch, das Werk als Bebilderung der Weltanschauung zu nehmen. Bei Wagner selber steht das Werk im Zentrum.

Zu Wagners Weltanschauung gehört auch sein krasser Antisemitismus.

Ja, keine Frage. Wobei man dann auch darüber reden muss, wie tief der Antisemitismus bei Wagner saß und welche persönlichen Motive wie gekränkte Eitelkeit hierbei eine Rolle spielten. Wagner ist ein relativ eigentümlicher Antisemit insofern, als er relativ viele deutsche Juden, jüdische Deutsche in seiner Umgebung hat, die als Dirigenten und Sänger wesentlich an der Durchsetzung seines Werkes beteiligt sind. Damit hatte er keine Probleme. Und dann schreibt er diese Texte.

Adorno schrieb 1964: „Es gibt Wagner als Politikum, auch heute noch.“ Und weiter: „Das Werk Wagners – keineswegs nur die Prosaschriften – agitiert unverkennbar für völkischen Antisemitismus.“

Für einen so sensiblen Kunst- und Kulturkritiker wie Adorno war es – wenige Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus – naheliegend, diese Verbindung herzustellen. In den achtziger und neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts ist dann das Kleinlich-Schulmeisterliche ins Zentrum gerückt, was den Beckmesser anbetrifft und die kapitalistische Gier, die jetzt gar nicht mehr speziell den Juden zuzuschreiben ist, sondern den Kapitalisten, den Managern, den Boni-Jägern. Also die gesellschaftskritische Dimension.

Bei Wagner geht es immer um Schuld und Sühne, um die Wunde, die nicht heilen will wie bei Amfortas im „Parsifal“. Ist Wagner nach 1945 und nach 1989 wieder ein gutes Medium der kollektiven Selbstbefragung?

Die Deutschen sind unter den größeren Völkern in Europa gewiss diejenigen, die aufgrund ihrer Geschichte, also der verspäteten Nationalstaatsbildung und der Gewaltgeschichte, die höchste Neigung zur Selbstbefragung haben – und zur permanenten Neudefinition. Deshalb ist ein Werk, das so offen ist für Deutungen zwischen Nationalismus und Kapitalismuskritik, Kulturfeierung und politischem Eskapismus, natürlich wunderbar geeignet, das Publikum zu fragen: Wer seid ihr? Insofern ist Wagner der Komponist in Deutschland, zumindest was die Opernbühne betrifft.

Das Gespräch führten Gabriele Killert und Richard Schroetter.

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