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Hipster von heute? Emilio Vedova, 1963 in seinem Atelier im Käuzchensteig, zählte zu den ersten Gästen des Künstlerprogramms in Berlin.

© Fondazione Vedova, Venedig

Zum 50. des Berliner Künstlerprogramms: Die Entgrenzung der Welt

Als 1963 erstmals einjährige Stipendien an auswärtige Künstler vergeben wurden, war das ein Signal im Kalten Krieg. Seitdem hat das Berliner Künstlerprogramm, seit 1966 unter dem Dach des DAAD, unzählige große Namen in die Stadt gelockt. Zur Gegenwart der Stadt als kulturelle Drehscheibe hat das Programm, das nun 50 wird, entscheidend beigetragen

Von Gregor Dotzauer

Grau und leer muss es in West-Berlin gewesen sein, als Walter Ulbricht 1961 die Mauer bauen ließ. Die sibirischen Winde, die über die Insel heulten, lassen diejenigen, die sich noch daran erinnern können, bis heute erschauern. Auf einmal war die Stadt auch auf kulturelle Hilfslieferungen angewiesen, und wenn die Amerikaner damals nicht beherzt gehandelt hätten, wäre das Eiland wohl auch ohne weitere Isolierung an seiner Provinzialität erstickt. Eine der vielen segensreichen Einrichtungen, die Shepard Stone, Direktor der Abteilung für Internationale Angelegenheiten der New Yorker Ford Foundation, initiierte, war ein einjähriges Stipendienprogramm für bildende Künstler, Musiker und Autoren.

Schon der Beginn im Jahr 1963 war glorios. Zu den Gästen zählten der Maler Emilio Vedova, die Schriftsteller Michel Butor, Witold Gombrowicz und Ingeborg Bachmann sowie die Komponisten Igor Strawinsky, Frederic Rzewski, Elliott Carter, Hans Werner Henze und Iannis Xenakis. Das ist jetzt ein halbes Jahrhundert her, und wer befürchten wollte, dass in diesen artistischen Höhen die Luft schnell ausgehen würde, musste sich eines Besseren belehren lassen. 1966 übernahm der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) neben der Abwicklung auch die Federführung: Im Juli war überdies der Name Berliner Künstlerprogramm (BKP) geboren. Er strahlt seitdem aus in alle Welt.

Doch glitzert und funkelt es heute nicht von alleine an allen Ecken und Enden? Braucht es noch den von Fachjurys abgesicherten Lockruf? Müsste man nicht eher eine Stauwarnung für ausländische Künstler ausgeben? Der Verdacht, dass Skandinavien bald malerlos sein könnte, die USA und Kanada ihre improvisierende Musikszene einbüßen und jeder Ungar, dem ein Gedicht im Kopf herumspukt, sich hierher flüchtet, drängt sich einem zuweilen machtvoll auf. So grundsätzlich sich die Lage seit 1989 gewandelt hat, die Bedeutung des BKP liegt gerade darin, dass es als ein kultureller Arm der politischen Diplomatie diese Entwicklungen bis in die jüngste Gegenwart hellwach begleitet. Es hat, und das trifft auch für die entgrenzte Welt nach dem Kalten Krieg zu, ihre Protagonisten zu Zeiten eingeladen, als sie hierzulande noch kaum einer kannte. Es hat die kulturellen Schneisen, die sie schlugen, so verstetigt, dass sie nicht mehr zuwachsen können, und es reflektiert sie in einer Vielzahl öffentlicher Veranstaltungen.

Katharina Narbutovic, die seit September 2008 die Geschicke des DAAD-Programms lenkt und auch über die 1974 hinzugekommene Sparte Film gebietet, verteidigt deshalb auch vehement den dialogischen Charakter des Projekts. Wo einst vor allem zwischen West- und Osteuropa vermittelt wurde, da hat sich längst eine zusätzliche Nord-Süd-Achse ergeben – und mehr als das. In den Gästen des DAAD spiegeln sich globale Energie- und Konfliktströme, die den Nahen Osten, Indien und Afrika, China und Korea selbstverständlich einschließen.

Narbutovic gefällt das Konzept von Daniel Barenboims West-Eastern Divan Orchestra – nur eben noch vielstimmiger umgesetzt, mit Blick auf eine „Tout-monde“, wie sie dem karibischen Kulturtheoretiker Edouard Glissant vorschwebte. In diesem Sinn ist das BKP mehr denn je ein Unternehmen Zukunft. Als öffentlicher Umschlagplatz von Ideen und kulturelles Frühwarnsystem kommt ihm auch vermehrt die Aufgabe zu, auf Künstler hinzuweisen, die der Markt verschmäht – 2014 mit einem Etat von 1,4 Millionen Euro.

Die Verantwortung dafür ist immens. Denn die Augen gehen einem über, wenn man sieht, wer alles zu den rund 1000 Gästen gehörte. In der Bildenden Kunst waren dies Ilya Kabakov, Tacita Dean und Damien Hirst, bevor sie zu Weltruhm gelangten. Im Film waren es Jim Jarmusch und der Iraner Asghar Farhadi, in der Literatur Margaret Atwood, Cees Nooteboom, Susan Sontag, Liao Yiwu und Antjie Krog, in der Musik John Cage, Morton Feldman, György Ligeti und György Kurtág. Doch jede Aufzählung verbietet sich angesichts der Menge großer Namen – und der kleineren, die sich vor ihnen nicht zu verstecken brauchen.

Imre Kertész, 1993/1994 zu Gast, hat einmal auf Berlins traditionelle Rolle als Drehscheibe hingewiesen. „Im Unterschied zur englischen oder französischen Kultur, die sich eher mit sich selbst begnügen“, behauptet er, „hat die deutsche immer auch eine Rolle als Vermittler zwischen östlichen und westlichen Literaturen gespielt. Der Weg osteuropäischer Schriftsteller führt meistens über Berlin in andere Sprachen, in die Weltliteratur weiter.“ Das ist eine Auszeichnung für die Stadt, und sie ist im Fall Ungarns besonders sinnfällig geworden.

Nachdem 1974/75 Miklós Mészöly, die Vaterfigur vieler heute tonangebender Erzähler, als erster Ungar das BKP beehrte, folgten ihm Péter Nádas, Péter Esterházy, László Krasznahorkai, István Eörsi, László Végel oder László Darvasi. Sie haben, wovon auch ein schöner Band der vom DAAD herausgegebenen Reihe Spurensicherung Zeugnis ablegt, Berlin entscheidend mitkartografiert und sich von ihren DAAD-eigenen Wohnungen im Westen, etwa im Charlottenburger Storkwinkel, nicht abschrecken lassen, die ganze Stadt zu erkunden.

Das Schaufenster der Bildenden Kunst ist die DAAD-Galerie in der Zimmerstraße, die 2005 die Räume über dem Café Einstein in der Kurfürstenstraße ersetzte. Das literarische Schaufenster sind Buchreihen, darunter die legendäre, 100 Titel umfassende Reihe der LCB-Editionen mit Renate von Mangoldts Stuhl-Porträts auf dem Umschlag. Sie wurde beerbt von einer 24 Bände währenden Affäre mit dem Aufbau Verlag unter dem Motto „Text und Porträt“, bevor die Reihe Spurensicherung aufgelegt wurde, die heute bei Matthes & Seitz eine verlässliche Heimat gefunden hat.

Jetzt wird quer durch die Disziplinen erst einmal gefeiert: mit Performances, Lesungen und Videos gegenwärtiger und früherer Gäste – und den vielen, die sich von Berlin so haben begeistern lassen, dass sie gleich dageblieben sind.

Jubiläumsfestival am 6./7.12 in der Akademie der Künste am Hanseatenweg, jeweils ab 18 Uhr

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