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Alfred Brendel

© dpa

Zum 80. Geburtstag: Alfred Brendel - der Bewunderer

Auftritt Alfred Brendel aus der Kulisse – und wie ist das immer gewesen? Der Pianist kommt, blinzelt kurz uhuhaft hinter den dicken Brillengläsern, setzt sich – und siegt? Nein, eher nicht.

Alfred Brendel, der heute 80 Jahre alt wird, war es am Flügel nie darum zu tun, als Sieger des Abends hervorzugehen. Schließlich stand der Gewinner bei Konzerten mit Alfred Brendel immer schon am Anfang fest: es war, von wem auch immer komponiert, das Stück. So gedreht und gewendet, gewogen und von allen Seiten beleuchtet würde man es nicht wieder hören, das war jedes Mal klar.

Und deswegen war auch jeder Abend mit Alfred Brendel wieder ein neues Abenteuer. Für ihn und für uns – seine dankbaren, immer wieder überraschten, stets von seiner Menschlichkeit faszinierten Hörer. Wo kam die Haltung her bei ihm?

„Im Paradies angekommen / fragen wir uns / skeptisch bis zum letzten / Was geht hier eigentlich vor ...“. so beginnt eines der immer leicht dadahaft schillernden Gedichte Brendels, deren Konstruktion er sich auf seine älteren Tage zugewandt hat. Und da haben wir, wenn man so will, Alfred Brendel, ganz und gar k. u. k. Kind aus dem nordmährischen Wiesenberg, in der Nussschale: nämlich einen, der nicht aufhören mag, sich zu wundern, zu lernen, Phänomene anzuvisieren, zu erkennen und zu durchdringen.

Wenn auch vielleicht nicht bis zum Letzten, wie zumindest der Lyriker Brendel einräumt: „Dass es Teufel / im Grunde gar nicht gibt / hat uns kürzlich / der Leibhaftige selbst verraten / Wir haben dies / betrübt zur Kenntnis genommen und beschlossen / in Zukunft / uns selbst an die Wand zu malen.“

Alfred Brendel wurde das, was seine bürgerlichen Eltern nicht waren: ein intellektueller Artist, aber er saß mitnichten zuerst am Klavier, sondern am Plattenspieler, wo er Jan Kiepura und Josef Schmidt dudeln ließ: „Ob blond, ob braun, ich liebe alle Frau’n“. Das war schon auf der Insel Krk, wo die Erwachsenen eine Pension unterhielten. Später zogen sie nach Zagreb, dann nach Graz. Alfred Brendel also startete als Discjockey, hörte die Schlager, empfand die Musik und dachte: „Das kann ich auch!“ So in etwa hat er es Martin Meyer erzählt in dem Buch: „Ausgerechnet ich“ (Hanser).

Ausgerechnet er wollte Pianist werden, kaum dass er die ersten Stunden hinter sich hatte. Das war bei Sofie Dezelic in Zagreb, die besonders Brendels kleine Finger trainierte, was ihm später zunutze kam: Franz Liszt spielt sich nicht aus dem Handgelenk, und Brendel hat die Klavierwerke Liszts regelrecht rehabilitiert. Bis dahin war er sich für nichts zu schade, hörte gut zu (besonders wenn Horowitz spielte) und ließ die Stücke auf sich zukommen, um zu fühlen, welche Energie sie auf ihn ausübten. Die nächste Sonate war immer die schwerste, und noch bei Brendels Abschiedskonzerten vor zwei Jahren spürte man, wovon er lebenslang gezehrt hatte: von dieser Konzentration auf Schubert, Mozart, Beethoven, Haydn, Bach, Busoni, Schönberg – ungefähr in dieser Reihenfolge.

Nach dem Krieg gab ihm Edwin Fischer den vorletzten Schliff, alles andere besorgte Brendel selbst: auf Tourneen und mit Plattenaufnahmen, die er genau, aber nicht überpenibel zu steuern wusste. Im Gegensatz zu Glenn Gould, dessen Spiel er – von Ausnahmen abgesehen – nicht ausstehen kann, war Brendel kein Kontrollfreak: nicht das Werk sollte für ihn den Weg frei machen, sondern er wollte den Weg für das Werk ebnen.

Manierismen kamen nicht in Frage, vielmehr war er immer auf der Suche nach dem tatsächlich gewünschten Ausdruck. Für Schubert hat er – auch im Verein mit Dietrich Fischer-Dieskau – unendlich viel getan. Es gibt gar nicht so viel Lorbeer, wie man brauchen würde, um Kränze zu winden, die Brendel dann doch nicht aufsetzte. Namentlich hat er den oft als stillen Fremdler verkannten Dramatiker Schubert gerettet, buchstäblich aus den Noten heraus. Als musikalischer Philologe wie überhaupt als Kenner schöngeistiger und skurriler Literatur ist Brendel nicht leicht zu übertreffen. „Nachdenken über Musik“ oder einfach „Über Musik“, brendelsche Essaybände (mit Thesen jonglieren kann er eben auch), gehören in jeden Haushalt, wo ab und zu Konzertkarten bestellt werden.

Nach dem Schlussakkord 2008 im Wiener Musikverein, bezeichnenderweise zusammen mit dem ebenfalls in London wohnenden australischen Dirigenten Charles Mackeras, einem Bruder im Geiste, hat der vierfache Familienvater Alfred Brendel das Lehren angefangen. Und – wen wundert’s ? – „Werktreue“ ist das am häufigsten verwendete Wort in seinen Meisterkursen. Wann er selber mal richtig zufriedenstellend nah dran war am Kern des Werkes, hat er im Nachhinein, aber auch nur einmal, gesagt: die Londoner Live-Aufnahme der B-Dur-Sonate von Franz Schubert (D960) rechnet Alfred Brendel zu jenen Interpretationen, bei denen er denkt, „ja, besser könnte ich das nicht machen“. Zum 80. Geburtstag hat seine Plattenfirma Decca eine Doppel-CD mit ebenfalls sehr gelungenen Live-Aufnahmen herausgebracht, Klavierkonzerten von Mozart und Brahms, Beethovens Opus 110 sowie Schuberts Impromptu D 935. Happy Birthday!

Alfred Brendel wird am 8. Februar im Berliner Kammermusiksaal einen Vortrag über Humor in der Musik halten.

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