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Kultur: Zum Autodafé

SCHREIBWAREN Jörg Plath über die Rettung der Vergangenheit in die Zukunft Aus der Vergangenheit lässt sich nichts lernen. Das liegt daran, dass es die eine Vergangenheit nicht gibt – sondern deren viele.

SCHREIBWAREN

Jörg Plath über die Rettung der Vergangenheit in die Zukunft

Aus der Vergangenheit lässt sich nichts lernen. Das liegt daran, dass es die eine Vergangenheit nicht gibt – sondern deren viele. Denn die Vergangenheit verändert sich mit unseren Fragen an sie. Sie, die wir uns immer nur im Singular vorstellen, ist viel eher ein Gestrüpp von Möglichkeiten, Sackgassen und unwahrscheinlichen Ereignissen. Diese Woche in „Schreibwaren“: Vergangenheiten.

Die Errettung des gerade vergangenen Alltags unternimmt Peter Kurzeck auch in seinem neuesten autobiographischen Roman „Als Gast“ (Stroemfeld). Sein armer Schriftsteller rettet alles in die Schrift: „Gehen, schnell gehen! Im Gehen die Schuhe schonen! Schnell gehen und mich nicht aus den Augen verlieren! Nicht zu atmen vergessen. Schnell gehen und weit in die Ferne den Blick: Anders hältst du dein Leben nicht aus! Schnell mir ein Gehen ein paar Wörter, den Anfang vom nächsten Satz, eine Zukunft als Zukunft! In Gedanken schon vor mir her, in Gedanken schon längst an den Schreibtisch zurück und gleich weiter mit dem Manuskript.“ Aus dem rhapsodischen Werk treten einem die Achtzigerjahre in Frankfurt am Main entgegen ( Literarisches Colloquium, 8. Mai, 20 Uhr).

Der 8. Mai ist der Tag der Befreiung – und der der Bücherverbrennung auf dem Opernplatz, dem heutigen Bebelplatz, an die ein eindrückliches Denkmal von Micha Ullmann erinnert: ein im Boden versenktes, leeres Buchregal. George WylandHerzfelde hat diesen Tag nicht mehr erlebt. Seine Eltern, der Malik-Verleger Wieland-Herzfelde und seine Frau, schickten ihn schon 1932 nach Österreich und kamen 1933 nach. Wyland-Herzfelde stellt am 8. Mai im Buchhändlerkeller (21 Uhr) seine Erinnerungen „Glück gehabt“ (dtv) vor.

Am selben Tag findet im Literaturhaus eine kleine Tagung zu „ Geschichte und Wirkung der Bücherverbrennung “ statt (11-18 Uhr, Programm Tel. 887 28 60). Und das Jüdische Museum hat sich zum Jahrestag etwas ganz und gar Unmuseales einfallen lassen: Drei Autoren adoptieren dort am 10. Mai einen „verbrannten Dichter“ (ab 18.30 Uhr). Birgit Vanderbeke stellt „ihren“ Kurt Tucholsky vor, John von Düffel nähert sich Bertolt Brecht, und um 21.30 Uhr interpretiert Michael Lentz „seinen“ Joachim Ringelnatz. Am Tag darauf gedenkt die Akademie der Künste dem Autodafé mit einem Vortrag von Reinhard Rürup (11. Mai, um 11 Uhr), und einer Lesung.

Davor feiert die Akademie ihre jährliche Mitgliederversammlung. Der scheidende Präsident György Konrád liest am 9. Mai aus seinem neuen Roman „Glück“ (Suhrkamp), und am 10. Mai, in der „ Langen Nacht “, wird der ehemalige Präsident Walter Jens mit einer Hommage zum 80. Geburtstag geehrt (jeweils 20 Uhr). Er trägt mit Ehefrau Inge Jens aus der gemeinsam geschriebenen Biographie von „Frau Thomas Mann“ (Rowohlt) vor. Ab 21 Uhr lesen Per Olov Enquist („Lewis Reise“, Hanser), Wolfgang Hilbig („Der Schlaf der Gerechten“, S. Fischer) und Peter Bichsel („Doktor Schleyers isabellenfarbige Winterschule“, Suhrkamp).

Noch ein Wort zur Literaturwoche Prenzlauer Berg, die am 11.Mai mit einem Fest auf dem Kollwitzplatz beginnt (11-19 Uhr) und bis zum 17. Mai andauert. Am 12. Mai stellt der Verleger Egon Ammann das wunderbare „Buch der Unruhe“ von Fernando Pessoa vor – ein vergangener Meister des Plurals ( Georg Büchner Buchladen , 20 Uhr). Mehr Vergangenheiten dann in sieben Tagen.

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