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Ramadan in Rabat. Muhammad Ali 1998 in Marokko.

© AFP/Abdelhak Senna

Zum Mythos Muhammad Ali: Wahn, Größe und Grimasse

Muhammad Ali war nicht nur im Ring ein Kämpfer. Auch außerhalb wagte er viel. Erinnerung an eine schillernde Figur.

Dass an ihm irgendwas größer war als an allen anderen, wurde einem Kind schnell klar. Eltern machten plötzlich komische Dinge, um „dabei“ zu sein, wenn er kämpfte. Standen nachts auf, schalteten das Fernsehgerät an und weckten die Söhne, damit auch die zusahen. Damit auch sie begriffen: das Mysterium großer Ali-Kämpfe.

In solchen Momenten war Amerika das Zentrum des Universums. Denn obwohl die Fights auch in Manila stattfanden oder in Kinshasa, waren es doch stets zwei Amerikaner, die in dem Ring um die Krone der Welt kämpften. Und einer davon war stets Muhammad Ali. Als er 1975 zum dritten Kampf gegen Joe Frazier antrat, seinen Langzeitrivalen, gegen den er beim ersten Aufeinandertreffen tatsächlich sogar mal verloren hatte, was eigentlich nie geschah, da hatte mein Vater mich auf eine Geschäftsreise mitgenommen. Wir hätten an dem Abend durchaus wieder zuhause sein können, aber mein Vater unterbrach die Fahrt in Hamburg und mietete uns in einem prachtvollen Hotel am Hafen ein, weil es dort Fernseher in den Zimmern gab. Zuhause hatten wir keinen.

Nachts weckte mich mein Vater. Ich hatte vor Aufregung kaum einschlafen können, jetzt empfing mich das telegene Rauschen eines Massenereignisses, das halb von der problematischen Übertragungstechnik herrührte, halb von den Massen selbst, die sich in fiebernder Erwartung um den Ring in Manila eingefunden hatten.  Es wurde ein langer Kampf. Unendlich zäh, gewaltig in seiner Unerbittlichkeit, ausgefochten bis zur völligen Erschöpfung. Ali gewann. Aber es war Joe Frazier, den ich als achtjähriger Knirps in einem Hamburger Hotelzimmer zu achten gelernt hatte. Als einen sich in seiner Deckung verkriechenden, gebeugten Mann, der nicht umgefallen war und immer wieder zurückgeschlagen hatte. Nach der 14. Runde war er einfach auf seinem Hocker sitzen geblieben. Er konnte Ali durch seine geschwollenen Augen nicht mehr sehen.

„This was the closest thing to death“, sollte Ali später über die Ringschlacht von Manila sagen, näher sei er dem Tod nie gekommen. Und natürlich findet sich dieser Satz auch in Jan Philipp Reemtsmas wundervoller Kampfstudie „Mehr als ein Champion“ wieder, die „den Stil“ des Boxers Muhammad Ali zu ergründen versucht. Als würden die Bewegungsabläufe und die federnde Eleganz das Phänomen des Mannes erklären, der der Welt verkündet hatte: „I am the greatest“ – und nicht zu wenig versprochen hatte.

Die elektronischen Medien befeuerten seinen Ruhm

Was ist Größe? Die Popkultur hat dafür eigene Kriterien, seit Teenager beim Anblick der Beatles so zahlreich in Ohnmacht fielen und ein infernalisches Kreisch-Getöse entfesselten, dass eine besondere Macht sich mit ihnen verbunden zu haben schien. Es war die Macht elektronischer Medien. Seither ist kollektiver Wahnsinn gebunden an Einzelne die Formel für Größe im Medienzeitalter. Und natürlich wollten die Beatles im Februar 1964 auf ihrer ersten USA-Tournee, die ihren Weltruhm begründete, vor allem einen treffen: Cassius Clay, wie er damals noch hieß. Man sah darin das Spitzentreffen der Größten ihrer Art. Obwohl weder die Beatles noch Cassius Clay bereits gezeigt hatten, was wirklich in ihnen steckte.

Die Begegnung fand kurz vor dem erstem Titelkampf gegen Sonny Liston statt. Sie alberten herum, berühmt ist das Foto geworden, auf dem Ali die Beatles in einer Art Kettenreaktion umhaut. Er hüpfte mit weit aufgerissenem Mund und panisch geweiteten Augen um die Briten herum, wie er es bei öffentlichen Auftritten häufiger tat. Dieses hysterische, für einen Boxer vollkommen unübliche Kasperletheater, war Teil von Clays Kulturprogramm. Mit dem hatte er seinen furchteinflößenden Gegner Liston nun schon über Monate mit verbalen Attacken („er riecht wie ein Bär, wenn ich ihn geschlagen habe, schenke ich ihn einem Zoo“), hypernervösen Auftritten und Grimassen glauben machen, dass er nicht zurechnungsfähig sei.

Es sollte sich herausstellen, dass Liston diesem Ablenkungsmanöver nicht gewachsen war. Er dachte, einem Verrückten gegenüberzutreten, den er nicht ernst nehmen müsste. Fehler.

Das Problem mit Ali war, dass selbst wenn man wusste, dass er seinen Gegnern ständig Angebote machte, ihn zu hassen und nicht für voll zu nehmen, es kein Rezept dagegen gab. Gleich nach dem Sieg über Liston legte Clay seinen „Sklavennamen“ ab, wie er sagte und nannte sich fortan Muhamad Ali. Ein Affront gegen das weiße Establishment, der die Boxwelt tief spaltete. Wie konnte er es wagen? Das war der Satz, der seine Karriere begleitete.

Sogar einen Kampf mit Superman hat er gewonnen

Gegen den Krieg in Vietnam. Muhammad Ali, damals noch Cassius Clay, bei Protesten in Los Angeles.
Gegen den Krieg in Vietnam. Muhammad Ali, damals noch Cassius Clay, bei Protesten in Los Angeles.

© imago sportfotodienst

Er bekam ihn zu hören, als er – schon früh – durch den Ring zu tanzen begann, statt sich der Konfrontation zu stellen wie ein richtiger Mann. Er bekam ihn zu hören, als er seine Mitgliedschaft in der muslimischen Sekte des Predigers Elijah Muhammad offenbarte. Und er bekam ihn zu hören, als er sich seiner Einberufung zur Armee widersetzte und lieber ins Gefängnis statt nach Vietnam ging. Auch seine Spottgedichte auf seine Widersacher und den Rassismus, den Schwarze in Amerika zu erleiden hatten, empörten. Aber weil er es tat, taten es andere ihm nach, und so gilt er etwa als Vorreiter des Rap, der früh das Dissen, die verbale Beleidigung, zur Kunstform erhoben hatte.

Alis öffentliche Rolle setzte sich aus so vielen Elementen zusammen, dass es immer wieder großartige Anläufe gab, dieser Komplexität mit dem Rüstzeug von Intellektuellen beizukommen. Als würden über die besten Sportler auch die besten Bücher geschrieben, gibt es eine Phalanx von Werken, die man gelesen haben sollte, darunter „The Fight“ von Norman Mailer und David Remnicks „King of the World“. Zu Alis aktiver Zeit war es schick für Schriftsteller und Künstler, sich mit Boxen zu beschäftigen, die Einfachheit eines brutalen Faustkampfes zu glorifizieren. Der Sport erlebte noch einige Jahre über Alis Abgang 1981 hinaus eine Blütezeit. Dann geriet das Schwergewicht-Boxen in die Krise, verlor an Faszination. Mike Tyson machte ihm mit seinen ultra-aggressiven Kurzkämpfen den Garaus. Die Geschichte vom Schwarzen, der im Boxen seine Aufstiegschance sieht und als Weltmeister Millionen verdient, war auserzählt.

Er stammte aus der Mittelschicht, nicht dem Ghetto

Ali stand für diese Karriere. Und er tat es nicht. Denn er kam nicht aus dem Ghetto. In Louisville wurde er in eine, wenn auch nicht sonderlich vermögende, schwarze Mittelklasse-Familie hineingeboren. Vor allem aber entsprach er dem Karrieremodell nicht, weil er bereit gewesen war, es über Bord zu werfen. Das war kein American way of Life. Seine Geschichte, so David Remnick in seinem Nachruf im „New Yorker“ habe „zu viele Triumphe, zu viele Krisen, Abgänge, falsche Abgänge, Comebacks, Schandtaten, Gerichtsprozesse und tragische Momente erlebt“.

Deshalb hat Jan Philipp Reemtsma recht mit dem Gedanken, dass es einer Kinofigur wie „Rocky“ bedurfte, um die „Irritation“ zu bewältigen, die Alis Triumphe für die USA bedeuteten. Rocky Balboa, der italienisch-stämmige Aufsteiger, weiß und patriotisch, trifft in seinen Kämpfen wiederholt auf den schwarzen Champion Apollo Creed, der in seiner eleganten Physis unverkennbar ein Wiedergänger Alis ist. Und er besiegt ihn. Damit wird das Bild Amerikas wieder zurechtgerückt und das Großmaul symbolisch entthront.

Das ist Größe. Aber das weiß ja jeder. Sogar einen Kampf mit Superman hat Ali als Comicfigur gewonnen, und als er 1996 in Atlanta die olympische Flamme entzündete, gebührte niemandem diese Ehre mehr als ihm. Schließlich gab sich selbst das Kino geschlagen. Die letzten Bausteine für seinen Ruhm fügten zwei Filme zusammen. 1996 kam „When we were Kings“ heraus, der Dokumentarfilm von Leon Gast über Alis Gang nach Kinshasa, um George Foreman zu schlagen, den damals für unbesiegbar gehaltenen Weltmeister. Allein diesen einen Kampf, der als „Rumble in the Jungle“ in die Geschichte einging, umranken so viele Legenden, dass es nicht für einen Film, ein Buch, ein Doppelalbum mit der Musik des den Kampf begleitenden Festivals reichte.

Ob Will Smith als Ali in dem gleichnamigen Hollywoodfilm von 2001 eine gute Figur machte, ist nebensächlich. Vor allem hatte Amerika nun offensichtlich seinen Frieden mit diesem streitbarsten und mutigsten Einzelkämpfer gemacht.

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