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Sie wollte nicht ins Exil, kämpfte im Südafrika der Apartheid gegen den Rassismus. Nadine Gordimer auf einem Foto aus dem Jahr 2006.

© Imago

Update

Zum Tod der Literaturnobelpreisträgerin Nadine Gordimer: Die Unbeugsame

Sie kämpfte zeitlebens gegen die Apartheid und blieb ihrem Land Südafrika immer kritisch verbunden. Die große südafrikanische Schriftstellerin und Literaturnobelpreisträgerin Nadine Gordimer ist im Alter von 90 Jahren gestorben

Johannesburg 1993. Ein schwarzer Mann und eine weiße Frau, beide Nobelpreisträger, mit kämpferisch erhobener Faust, die Nationalhymne singend. Die Frau, Nadine Gordimer, 1991 mit dem Literaturnobelpreis geehrt, reicht dem groß gewachsenen Nelson Mandela gerade bis zur Schulter. Das Foto hat große Symbolkraft: Es zeigt die Geburt des neuen Südafrika, dessen Blutspur endlich eingetrocknet zu sein scheint. Mit Mandela zur selben Zeit im selben Land gelebt zu haben, wird die 90-jährige Schriftstellerin 20 Jahre später, im Dezember 2013, zum Tod des Ausnahmepolitikers schreiben, sei ein Geschenk gewesen, das alle Südafrikaner teilen. Einen Monat zuvor war Doris Lessing, die andere große Zeitgenossin aus dem Land am Kap gestorben. Um Nadine Gordimer und ihre Generation wurde es einsam.

Mit Mandela, dem Friedensnobelpreisträger des Jahres 1993, teilte sie den unbeirrbaren Kampf gegen die Apartheid, mit Doris Lessing außer Hautfarbe und Profession das fremde Herkommen. Gordimers Mutter stammte aus England, der Vater war ein litauischer Jude, im Südafrika der zwanziger Jahre eine kleine Minderheit. In Springs im Hochplateau von Transvaal, wo Gordimer 1923 geboren wurde, verdiente man sein Geld in den Bergwerken oder, wie Gordimers Vater, einem Juwelier, mit dem Gold, das dort geschürft wurde. Das Mädchen lebte isoliert zuhause, erst spät durfte es – wie übrigens auch Lessing – eine Klosterschule besuchen. Das Gefühl, als „Fremdling unter Fremden“ (so der Titel ihres zweiten Romans 1958) zu leben, trieb Gordimer schon als Jugendliche an den Schreibtisch, wo sie nicht nur die Schulaufsätze für die Schwester verfasste.

Nadine Gordimer blieb in Südafrika. Ins Exil wollte sie nicht

Doch im Unterschied zu ihrer Kollegin, die mit einem Koffer voller Manuskripte nach England auswanderte, blieb Gordimer nach ihrem Studium der Geisteswissenschaften und einer kurzen ersten Ehe in Südafrika, im Land der schärfer werdenden Rassentrennung, das gleichzeitig aber auch ein Zufluchtsort für Verfolgte war. Einer der Flüchtlinge war der jüdische Galerist Reinhold Cassirer, der 1934 aus Berlin nach Südafrika floh, und mit dem Gordimer fast ein halbes Jahrhundert verheiratet war. „Ins Exil zu gehen“, zitierte sie Sartre, „heißt seinen Platz zu verlieren.“ Über den Platz als weiße Intellektuelle in Südafrika dachte Gordimer unter unterschiedlichen politischen Vorzeichen immer wieder nach. Ein schwarzer Künstler, stellte sie 1980 programmatisch fest, schafft seine Werke aus der Unmittelbarkeit erfahrener Diskriminierung; ein Weißer dagegen hat es mit einer doppelten Entfremdung zu tun: Er lebt als Nichteuropäer in einer kolonialen Kultur, die sich zugleich der einheimischen verweigert. Aus dieser Situation auszubrechen, bedarf es bewusster Entscheidung und einer vernunftgeleiteten empathischen Solidarität.

Mit dieser Situation hat sich Gordimer in vielen Varianten auseinandergesetzt. In „Burgers Tochter“ (1979) etwa ist es Rosa, die Tochter eines angesehenen Arztes, die durch ihre kommunistisch engagierten Eltern zunächst ganz selbstverständlich in die Rolle der Widerständlerin schlüpft, dann aber ausbricht und erst nach langen Umwegen eine Entscheidung treffen kann. Mandela hat den damals in Südafrika verbotenen Roman im Gefängnis auf Robben Island gelesen, als Vorbild für Burger figurierte sein Verteidiger George Bizos.

Wie Südafrika nach der Ära Mandela an einem nationalen Kater litt. Nadine Gordimer hat auch das beschrieben.

Die Schriftstellerin und Anti-Apartheid-Aktivistin Nadine Gordimer im Jahr 1980.
Die Schriftstellerin und Anti-Apartheid-Aktivistin Nadine Gordimer im Jahr 1980.

© AFP

Vera Stark in „Niemand, der mit mir geht“ (1994) ist dagegen schon eine Figur in der Übergangszeit Südafrikas. Die Rechtsanwältin, die für die landvertriebenen und entrechteten Schwarzen kämpft, entscheidet sich für den politischen Weg, während ihr Mann Ben, der zwar die Überzeugungen mit ihr teilt, nicht jedoch den Erfolg, sich aus Südafrika verabschiedet.

Auffallend viele Protagonisten im Werk Gordimers – auch männliche wie der schwarze Verteidiger Motsamai in „Die Hauswaffe“ (1998) – kommen aus dem juristischen Bereich. In einem Land, das Rassenungleichheit für rechtens erklärte und dessen schwarze Machthaber sich später als Zensoren des freien Worts profilierten, war – und ist – das bittere Notwendigkeit.

Nadine Gordimer hat 2012 noch einmal ihre Person in die Waagschale geworfen, um gegen das vom neuen südafrikanischen Staatspräsident Jakob Zuma auf den Weg gebrachte Zensurgesetz Front zu machen: „Ich habe den African National Congress (ANC) während des Freiheitskampfes aktiv unterstützt“, erklärte sie damals in der „New York Times“, „und ich unterstütze die Ideale, auf denen der ANC gegründet wurde. Aber ich stehe auf Seiten aller Südafrikaner, die gegen dieses Gesetz sind.“ Diese politische Unabhängigkeit ließ sie auch das Angebot ablehnen, für den ANC zu kandidieren. Nadine Gordimer dachte politisch, doch sie war nie eine Politikerin und wollte es wohl auch nicht sein. Das Besondere an ihren Büchern war, dass sie das Politische von den Menschen, von den Figuren her dachte. Sie hatte eine – manchmal strapaziöse – Vorliebe für innere Monologe und „Kippfiguren“: Ob schwarz oder weiß, bei ihr dominierten dann doch die Grautöne. Die Hand tief ins Leben tauchen, um die Wahrheit hervorzubringen, war ihre von Goethe entliehene Maxime – und wo wäre das passender als im Land der Wahrheitskommissionen?

So war sie nicht nur eine exponierte Chronistin der Apartheid, sondern verfolgte das Schicksal ihres Landes auch nach der Revolution mit offenen Augen und aus kritisch-sympathisierender Distanz. Viele ihrer nach 1992 entstandenen Bücher beschäftigen sich mit Problemen der Nach-Apartheid-Gesellschaft. „Der Mann von der Straße“ (2001) handelt vom Identitätsverlust der weißen Mittelklasse; im Erzählungsband mit dem für Gordimer ungewöhnlich humorvollen Titel „Beethoven war zu ein Sechzehntel schwarz“ (2008) geht es um die Fremdenfeindlichkeit der schwarzen Südafrikaner und die Korruptionsanfälligkeit der neuen schwarzen Oberklasse: „Die Parasiten sind oft die Helden von einst.“

Gordimers große Stärke war der Blick von innen heraus

Das Land, konstatierte Gordimer, leide nach der Ära Mandela an einem „nationalen Kater“. Dieser Kater veranlasste sie, noch einmal weit ausholen, um dem Südafrika „davor“ und „danach“ ihre Reverenz zu erweisen. „Keine Zeit wie diese“ (2012) zeichnet das Panorama des Landes aus der Perspektive eines jüdisch-schwarzen Mittelschichtspaares, das seine Identität aus dem gemeinsamen Kampf gegen die Apartheid entwickelt hat und nun in der südafrikanischen Normalität angekommen ist.
Die Genossen von einst sind bourgeois geworden, aus dem benachbarten Zimbabwe kommen Ströme unerwünschter Flüchtlinge und verstärken die sozialen Spannungen in einem Land, in dem die alltägliche Kriminalität und der Bildungsrückstand der schwarzen Bevölkerung zum Problem geworden sind. Die beiden Protagonisten sind ernüchtert von der politischen Realität unter der Herrschaft des ANC und des Emporkömmlings Zuma, und es gelingt ihnen nicht mehr die Augen zu verschließen vor den eigenen Unterschieden, die sie in der Kampfphase zusammengeschweißt haben.

Dieser Blick von innen heraus war die große Stärke Nadine Gordimers. Wie in vielen ihrer Bücher präsentierte sie hier noch einmal eine starke Protagonistin, eine schwarze Spiegelfigur zu jener Helen Shaw, die 1953 in „Lying Days“ (Entzauberung) die Bergarbeitersiedlung verlassen hat, um in der Großstadt Johannesburg etwas über das „wirkliche“ Südafrika zu erfahren. „Wir schreiben nicht mit unseren Genitalien“, erklärte sie einmal süffisant auf das Ansinnen „weiblichen Schreibens“; aber sie schrieb doch mit einem Kopf, der viel weibliche Erfahrung gespeichert hatte und dabei einer realistischen Erzähltradition folgte. Das mag heute vielleicht altmodisch erscheinen. Doch für das, was Gordimer zu erzählen hatte, war es die adäquate Form – und für ein langes Schriftstellerinnenleben, das am Sonntag in ihrem Johannesburger Haus 90-jährig friedlich zu Ende ging, mehr als genug.

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