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Der Regisseur Mike Nichols starb im Alter von 83 Jahren.

© dpa

Zum Tod des Hollywood-Regisseurs Mike Nichols: And here’s to you, Mrs. Robinson

Zärtlichkeit und Zimmerschlacht: Mike Nichols, Regisseur von "Die Reifeprüfung" und "Wer hat Angst vor Virginia Woolf", ist mit 83 Jahren gestorben

Vor sechs Jahren – er gab ein paar Interviews zum Kinostart seiner Polit-Satire „Der Krieg des Charlie Wilson“, die sein letzter Film bleiben sollte – kam Mike Nichols noch einmal nach Berlin. Freundlich lobte er die neue, weltoffene Atmosphäre seiner Geburtsstadt, die er 1938 als sieben Jahre altes Kind zusammen mit seinem zehnjährigen Bruder verlassen und mit knapp 40 Jahren erstmals wieder besucht und als feindselig empfunden hatte. Diesmal verteilte er Komplimente an deutsche Schauspieler und Filme wie „Das Leben der Anderen“ – und nur in einem Gespräch, mit der „Süddeutschen Zeitung“, ließ er sich zu jener Schärfe hinreißen, die als eines seiner Markenzeichen galt. Seine Interviewerin verblüffte er mit der These, dass richtiger Humor immer von Wut befeuert sei. Wie bitte, von Wut? „Ja, warmherzigen, mitmenschlichen Witz gibt es nicht.“

Vielleicht muss man zu den Wurzeln dieses vielseitigen amerikanischen Erfolgsregisseurs zurück, um solchen Blick auf die Menschen zu verstehen. Geboren ist Mike Nichols als Mikhail Igor Peschkowsky, der Vater war ein nach der russischen Oktoberrevolution nach Deutschland ausgewanderter jüdischer Arzt. Die Eltern seiner Mutter, einer deutschen Jüdin, waren die Dichterin Hedwig Lachmann und der Anarchist Gustav Landauer, der nach dem Scheitern der Münchner Räterepublik 1919 ermordet worden war. 1938 kamen die Brüder Peschkowsky allein per Schiff in New York an, wohin der Vater bereits Monate zuvor geflohen war, die Mutter folgte über Italien nach. Der Vater – er nannte sich nun Paul Nichols und hatte eine gut gehende Praxis am Central Park – starb 1943, da war Mike zwölf.

Ein solcher Anfang wirft um, oder er macht stark, wobei das Widerständige für immer in der Kraft enthalten bleibt. Der Lebensweg des Mike Nichols, der Stand-up-Comedian war und als Broadway-Regisseur reüssierte, um sich bereits als Mittdreißiger mit „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ und „Die Reifeprüfung“ in die Filmgeschichte einzuschreiben, mag sich rückwirkend folgerichtig lesen. Voran ging es dagegen verzwickt, kurvenreich, weitergetrieben von Zufällen.

Psychiater hätte er werden sollen, weshalb er in Chicago studierte und sich das Studium unter anderem als Nachtwächter, Postbote und Hotelboy finanzierte. Aber dann kam die Lust am Sketch, an der Schauspielerei, die ihn bald ins Regieführen und zum Film schob und von dort – nach Flops wie „Der Tag des Delphin“ und „Mitgiftjäger“ – zurück zur Bühne, zum Fernsehen und wieder zum Film. Wie’s kommt. Man kommt ja voran. Und der Ruhm kommt und geht. Und bleibt dann irgendwie doch.

Zum Beispiel „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“: Das kam nur, weil Liz Taylor ihn unbedingt für die Warner-Produktion engagieren wollte, und dieser Mike Nichols war zwar, nach Neil Simons „Barfuß im Park“ und „Ein seltsames Paar“, ein verdammt zuverlässiger Hitlieferant am Broadway, aber ein Filmset hatte er noch nie dirigiert. Und für die alkoholunselige Zimmerschlacht, die Edward Albee für ein selbstzerfleischungswütiges Ehepaar und ein unbedarftes Zeugenpaar entworfen hatte, drückte Liz Taylor in Sachen Besetzung gleich ihren Mann Richard Burton statt Laurence Olivier durch. Als Schlüsselstück einer Star-Ehe wurde der gleißend eisige, seelenfinstere Schwarzweißfilm gelesen, und man staunte darüber, dass sich Taylor/Burton vom damals sensationellen Fünf- Millionen-Dollar-Budget mal eben zwei Millionen für die Gage abzweigten. Aber hey, ist das zuviel für ein furioses Spiel, bei dessen bloßer Erinnerung es dem Zuschauer auch nach Jahrzehnten kalt den Rücken runterläuft?

Liz Taylor holte ihn zum Film - und besetzte ihren Mann gleich mit

Der Trost kam ein Jahr später, 1967, und mit ihm endgültig der Filmruhm. Nur dass hier keine fiktiven Söhne mehr ermordet wurden, sondern ein schüchterner junger Mann erwachsen werden durfte, live, ziemlich lustig und in Farbe. Ein Nobody namens Dustin Hoffman wurde durch die „Reifeprüfung“ weltberühmt, und beim Namen der entschieden liebesdurstigen Mrs. Robinson (Anne Bancroft) ertönt im ewigen Pop-Gedächtnis sogleich der in letzter Minute für den Film hinkomponierte Simon-and-Garfunkel-Song „Mrs. Robinson“ – so luftig kalifornisch und hippieesk, als wäre die Befreiung einer ganzen Generation aus sozialen und sexuellen Normen nie wieder rückgängig zu machen gewesen.

Nicht, dass Mike Nichols nach diesem Doppelschlag keine Erfolge mehr unter den knapp zwei Dutzend noch folgenden Filmtiteln aufzuweisen hätte. Nur haben sich diese stets flott getimeten, in der Schauspielerführung zuverlässig exzellenten Titel eigentümlich vom Namen ihres Regisseurs abgelöst. Die Militärsatire „Catch 22“? Richtig, von Mike Nichols. Die unkaputtbare Transvestiten-Klamotte „The Birdcage“? Dito. „Primary Colors“, der geschliffene Blick auf Clintons Skandale mit einem famos aufgelegten John Travolta? Klar, Nichols natürlich. Und „Hautnah“: Das brillant inszenierte Zweipaaredrama nach einem Stück von Patrick Marber lässt sich durchaus als zarter Reflex auf „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ deuten.

So trat Mike Nichols immer mehr zurück hinter die Schauspieler, die ihm große Rollen verdankten, von Harrison Ford über Julia Roberts, Emma Thompsen und Robin Williams zu Meryl Streep. Als Gewinner von Oscars, Grammys, Emmys und Tonys wurde er zum total medialen Klassiker des Mainstream-Entertainments, Dauermittelpunkt aber wurde ihm Hollywood nie. Am Mittwoch ist Mike Nichols in New York, seinem Lebenszuhause nach den Anfängen als jüdisches Berliner Kind, im Alter von 83 Jahren gestorben.

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