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Meister des warmen Tons. Aurèle Nicolet.

© Archiv der Berliner Philharmoniker

Zum Tod von Aurèle Nicolet: Der Luftgeist

Jahrhundert-Flötist: Im Alter von 90 Jahren ist Aurèle Nicolet gestorben.

Wenn man Andreas Blau, den langjährigen Soloflötisten der Berliner Philharmoniker, danach fragt, wie er zu seinem Instrument gekommen ist, erzählt er von Aurèle Nicolet. Und von dem wunderbaren, runden, warmen Ton des Musikers, der Blau als Jungen so faszinierte, dass er die Geige, die sein Vater für ihn vorgesehen hatte, bald zur Seite legte, um es seinem Idol nachzutun.

1950 war Aurèle Nicolet zu den Berliner Philharmonikern gekommen, engagiert von Wilhelm Furtwängler. Nur neun Jahre sollte er beim Orchester bleiben – und prägte das Ensemble doch nachhaltig. „Der uns heute selbstverständliche Gedanke, dass ein Orchestermusiker zugleich ein herausragender Solist sein kann, verdankt sich Musikerpersönlichkeiten wie Aurèle Nicolet“, sagte am Montag Orchestervorstand Ulrich Knörzer. „Mit seinem von der französischen Schule geprägten Ton hat er die Berliner Philharmoniker um eine neue Farbe bereichert, die bis heute in unserem Orchester nachklingt.“ Nicht zuletzt in seinen Schülern Emmanuel Pahud und Michael Hasel.

An der Genfer Musikhochschule begann der 1926 in Neuchâtel geborene Nicolet sein Studium, wechselte dann aber nach Frankreich, wo er 1947 den Ersten Preis am Pariser Konservatorium gewann. Als er Furtwängler vorspielte, hatte der Schweizer bereits Engagements in Winterthur sowie beim Züricher Tonhalleorchester hinter sich. Parallel zu seinem Berliner Orchesterposten übernahm er eine Professur an der hiesigen Hochschule der Künste, die er auch nach dem Abschied von den Philharmonikern bis 1965 weiter beibehielt.

Anschließend unterrichtete Nicolet neben seiner weltweiten Solistentätigkeit bis 1981 in Freiburg. Dort lernte Emmanuel Pahud ihn als ebenso strenge wie lustige Persönlichkeit kennen. „Fasziniert hat mich seine Kompromisslosigkeit“, erinnert er sich. „Wenn er von mir etwas haben wollte, hat er nicht nachgelassen.“ Doch der Virtuose war kein verbissener Perfektionist – er galt ebenso auch als Bonvivant. Auf den Tourneen der Philharmoniker soll er Partyverbot gehabt haben, verriet Pahud in einem Glückwunsch- Text zum 80. Geburtstag seines Lehrers. Den Nicolet übrigens zusammen mit seinen Freunden Pierre Boulez und Günter Grass feierte. Grass kannte Aurèle Nicolet aus seiner Berliner Zeit. 1966 berichtete der Tagesspiegel über einen restlos ausverkauften Abend in der Akademie der Künste, bei dem der Schriftsteller ein Kapitel aus der „Blechtrommel“ vortrug und dabei so suggestiv von Nicolet begleitet wurde, als werde „das Tonband zu einem Filmstreifen“ vorgeführt.

Als Pionier der sogenannten Zirkularatmung, bei der der Interpret über die Nase einatmet, während er gleichzeitig Luft in sein Instrument bläst, gehörte Aurèle Nicolet zu den ersten, die auch auf der Flöte unendliche Melodien spielen konnten. Komponisten wie György Ligeti, Edison Denissow, Heinz Holliger oder Toru Takemitsu haben dem Jahrhundertflötisten, der sich stets auch für die zeitgenössische Musik interessierte, Werke gewidmet. Wenige Tage nach seinem 90. Geburtstag ist Aurèle Nicolet am vergangenen Freitag gestorben.

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