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Fritz Rudolf Fries, 1935-2014

© Imago

Zum Tod von Fritz Rudolf Fries: Der unbekannte Große

Von Bilbao nach Petershagen - und in die Weltliteratur: Fritz Rudolf Fries war der große Unbekannte der deutschen Literatur. Jetzt ist er in seinem Haus am Stadtrand Berlins gestorben.

Fast am Ende der S-Bahnlinie 5 nach Strausberg liegt Petershagen. Dass dieses märkische Dorf für ein halbes Jahrhundert ein Hauptort der deutschsprachigen Literatur war, wissen nur wenige. Der Schriftsteller Fritz Rudolf Fries, gebürtig 1935 in Bilbao, intellektuell gereift im Leipzig der 1950er Jahre, danach in Berlin an die Peripherie geraten und eigentlich zu Hause in der Weltliteratur – Fritz Rudolf Fries hat hier gelebt.

Die wenigen hundert Meter von seinem verwunschenen Wohnhaus zur S-Bahn waren Fries schon lange zum Problem geworden. Eine Knochenkrankheit fesselte ihn, einen ungeheuer beweglichen Geist, seit Jahren an sein Haus, vollgestopft mit Büchern, Filmen, Musik. Seine wichtigste Kommunikationsform mit der Außenwelt waren Romane. Das Werk entscheidet, hat er gesagt. Und gemeint: nicht das Leben. Natürlich hatte er Anhänger, Aficionados in Madrid oder im Piemont. Leicht gemacht hat er ihnen ihre Verehrung nicht immer.

Die Lektüre von Fries-Romanen gehört entschieden ins Arsenal bewusstseinserweiternder Praktiken. Ostdeutsche Leser mögen ihn mit „Das Luftschiff“ (1974), „Alexanders neue Welten“ (1982) oder „Verlegung eines mittleren Reiches“ (1984) kennengelernt haben. Und zwar als listigen, weltgewandten, phantasievollen Erzähler, dem weder ein sozialistischer noch ein anderer Realismus an die Wiege gesungen wurde. Das Debüt freilich, „Der Weg nach Oobliadooh“ (1966), hatten die deutschen demokratischen Druckgenehmigungsbehörden dem Publikum bis 1989 fürsorglich vorenthalten.

Vom Beobachteten wurde er zum Beobachter - als IM Pedro Hagen

Keine Frage, Fries hatte falsch gemacht, was ging. Während linientreue Romane sich auf den Weg nach Bitterfeld begaben, kalauerten sich Fries’ Helden Arlecq und Paasch, offizielle Sprachregelungen aufs Übelste verhunzend, von Leipzig nach Ost- und Westberlin, vom Wir zum Ich – die literarische Avantgarde im Kopf, Jazz im Herzen. Der als „volksfeindlich“ verdammte Bebop eines Charlie Parker lieferte den Soundtrack zu diesem Roman, der die Geschichte einer Zurichtung erzählt. Statt im Paradies landen Arlecq und Paasch in einer Entzugsanstalt, im Irrenhaus oder werden geheiratet. Starker Tobak. Auch die Begleitumstände sind Bestandteil des literaturgeschichtlichen Legendenschatzes: Die Publikation bei Suhrkamp hatte Uwe Johnson vermittelt, Fries’ Kommilitone aus Leipziger Hörsälen, wo Hans Mayer, Ernst Bloch, Werner Krauss lasen. Das Buch kostete dem Autor seine Stelle an der Berliner Akademie der Wissenschaften. Fortan schlug sich Fries als Übersetzer oder Nachwortschreiber – etwa von Cervantes’ „Exemplarischen Novellen“ – durchs Leben. Spätestens von hier datiert seine Isolation, die Außenseiterstellung des Deutsch-Spaniers.

Ja, Fries war erpressbar. Nachdem ihm die Staatssicherheit mehrfach die Instrumente gezeigt hatte, knickte er ein. Aus dem Beobachteten wurde ein Beobachter, der IM Pedro Hagen. Anstatt sich zu erklären, verschanzte er sich hinter seiner „spanischen Gesinnung“, einem zuweilen irrationalen Stolz. Wäre er nicht der Versuchung erlegen, mit dem Teufel zu frühstücken, wäre er heute ein kanonischer, kein tragischer Autor. Seine Bücher hätten die Leser gefunden, die sie verdienen. Vor allem „Hesekiels Maschine“ (2004), eine postutopische Suche nach dem Verbleib von Aufklärung und Emanzipation, wäre nicht unter Fast-Ausschluss der Öffentlichkeit im Verlag Das Neue Berlin erschienen. Erst 2013 ist Fries mit „Last Exit to El Paso“ wieder stärker in den Fokus der literarischen Öffentlichkeit gerückt.

Nun hat der Tod einen Autor gefunden, der wie wenige andere die Verwindungen eines Zeitalters bezeugt: zwischen Ästhetik und Ethik, zwischen dem Wunsch nach Partizipation an Gesellschaft und nach Rückzug aus ihr, zwischen hochfliegenden Hoffnungen auf die Macht der Literatur und der Resignation über ihre Mittel. Am 17. Dezember ist Fritz Rudolf Fries in Petershagen gestorben.

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