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Unbedingt elegant: Maazel beim Wiener Neujahrskonzert, 2005.

© dpa

Zum Tod von Lorin Maazel: Der Taktstockvirtuose

Vom Wunderkind zum weltweit gefeierten Stardirigenten: Maestro Lorin Maazel ist im Alter von 84 Jahren gestorben.

Wer an Lorin Maazel denkt, sieht sich einem Paradox ausgesetzt: Da glänzt schwereloses Dirigentenhandwerk, dominiert der eleganteste Stabschwung der Branche gewaltige Orchesterapparate, senkt ein undurchdringlicher Blick Musiker wie Publikum in Hypnose. Doch der Mann, von dem all dies ausgeht, wirkt seltsam unbeteiligt, wenn nicht gar herablassend, eine Hand lässig am Geländer seines Dirigentenpodiums abgelegt. Partituren öffnet er dabei so gut wie nie. Maazel, der gerne im weißen Dinnerjacket taktiert, strahlt das Gefühl aus, latent unterfordert zu sein, von dem, was er so mühelos beherrscht. Ein kühler Kopf auf der Suche nach Feuer.

Aufgewachsen ist der am 6. März 1930 in einem Vorort von Paris geborene Amerikaner im Scheinwerferlicht. Seine Eltern sind Musiker, „Little Maazel“ dirigiert bereits mit 9 Jahren Orchester in Stadien. Toscanini lädt den 11-Jährigen ein, das NBC Symphony zu leiten. Die entsetzten Musiker empfangen ihn mit Lutschern im Mund zur Probe. Doch Maazel verschafft sich Respekt, eine Fähigkeit, von der er Zeit seines Lebens zehren wird. Als die Wunderkindzeiten zu Ende gehen, studiert er weiter Geige, aber auch Mathematik und Philosophie. Die strukturelle Durchdringung von Musik, die Kontrolle über ihre Prozesse – Maazel erarbeitet sie sich gründlich.

Maazel in Berlin: Musikmetropole statt Karajan-Stadt

Seine erwachsene Dirigentenkarriere entwickelt sich in Europa, wohin ihn ein Stipendium führt. Als erster Amerikaner dirigiert er bei den Bayreuther Festspielen, er reüssiert in Salzburg und Wien. Dass Berlin nicht nur als nur Karajan-Stadt geschätzt wird, sondern als Musikmetropole leuchtet, ist ein Verdienst des jungen Lorin Maazel. Hier debütiert er 1956 und leitet von 1964 bis 1975 das heutige Deutsche Symphonie-Orchester. Von 1965 bis 1971 ist er zudem Generalmusikdirektor der Deutschen Oper. Mit einem fulminanten „Tristan“ erobert er Berlin, einem Stück, das Ausweis seiner Virtuosität und seiner unsentimentalen Analyse bleiben wird.

Natürlich rechnet der Maestro damit, Karajans Nachfolge bei den Philharmonikern anzutreten, deren geschätzter Gastdirigent er seit langem ist. Als die Musiker Claudio Abbado zu ihrem Chef wählen, sagt Maazel für die nächsten neun Jahre alle gemeinsamen Konzerte ab. Er besitzt die Gabe, sich Feinde zu machen, was nicht selten mit seinem wenig bescheidenen Auftreten verbunden ist. In Wien sieht er sich 1982 als Staatsoperdirektor und Alleinherrscher in der Nachfolge Gustav Mahlers, jeden Abend will er Galavorstellungen an seinem Haus. Nach nur zwei Jahren folgt das Ende in erbittertem Streit. Der US-Musikkritiker Norman Lebrecht kürt Maazels in Wien entstandene Aufnahme der „Auferstehungssymphonie“ zur schlechtesten Mahler-Aufnahme aller Zeiten. „Fehlende Menschlichkeit kann man nicht vortäuschen“, urteilt Lebrecht – und trifft damit den Kern der Maazel-Kritik.

Der teuerste Dirigent zu Gast in Pjöngjang

Als teuerster Dirigent der Welt wird Maazel von 1993 bis 2002 Chef von Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, 2002 tritt er die Nachfolge von Kurt Masur bei den New Yorker Philharmonikern an. Mit ihnen reist er 2008 nach auf Einladung der Regierung Nordkoreas nach Pjöngjang und dirigiert „Aus der Neuen Welt“ sowie „Ein Amerikaner in Paris“. Die geladenen Gäste jubeln, die Musiker winken zurück. Doch statt Auftakt zu einer Annäherung zu sein, bleibt die Stippvisite eine skurrile Fußnote im Leben des Maestro, ebenso wie seine Versuche, als Komponist geachtet zu werden.

In über 70 Jahren auf dem Podium leitet Maazel mehr als 150 Orchester in 7000 Aufführungen. Erst im Juni gibt er seinen vorzeitigen Rücktritt als Chef der Münchner Philharmoniker bekannt. Aktiv bleibt Maazel trotzdem, probt und eröffnet das Castleton Festival, das er auf dem Gelände seiner Farm im US–Bundesstaat Virginia zur Förderungen des musikalischen Nachwuchses veranstaltet. Dort ist er infolge von Komplikationen nach einer Lungenentzündung am Sonntag im Alter von 84 Jahren gestorben.

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