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Zum Tod von Loriot: Sagen Sie jetzt nichts

Vieles wird verschwinden, was heute hip ist, über Loriot wird man auch in 100 Jahren noch lachen. Zum Tode eines großen Humoristen, der vor allem Preuße war.

Als er älter wurde und als er schließlich sehr alt war, sah er auf einmal, von weitem, einem anderen Deutschen ähnlich, einem der ganz wenigen, die von ihrem Publikum genauso geliebt wurden wie er. Beide verwandelten sich in zarte, heitere Greise, bei denen es fast schien, als könne das Sonnenlicht durch die Spinnweben ihrer Falten hindurch scheinen, auf die andere Seite. Wer behauptet, die Deutschen seien grob und besäßen einen brachialen Humor, der hat eben niemals die Bekanntschaft von Heinz Rühmann und von Loriot gemacht.

Der Autor Axel Hacke hat einmal das Lebenswerk von Loriot, so weit es gedruckt vorliegt, auf eine Waage gestapelt. Seitdem weiß man: Es sind 4,1 Kilo. Loriot gehörte zu den seltenen Menschen, die einerseits sehr genau arbeiteten, mit äußerster Sorgfalt, und die trotzdem sehr produktiv waren.

Bei wenigen Künstlern kann man sich so sicher sein wie bei diesem, dass auch die Nachwelt mit ihrer Kunst noch etwas anzufangen weiß. Man muss nur, probehalber, einem Kind von heute die alten Bildergeschichten zeigen, die Loriot 17 Jahre lang für den „Stern“ gezeichnet hat. Reinhold, das Nashorn. Auf den Hund gekommen. Später die Sketche im Fernsehen – eine Liebeserklärung, die an einer Nudel scheitert, einer Nudel auf Loriots Lieblingsorgan, der Nase. Ein Mann, der im Wartezimmer des Arztes versucht, ein schiefes Bild gerade zu rücken. Ein Lottogewinner, Herr Lindemann, der mit dem Papst eine Boutique in Wuppertal eröffnet. Wum und Wendelin. Professor Grzimek, der über die Steinlaus spricht. Ein Jäger im Reisrand.

Das sind Klassiker, so, wie die Namen „Opa Hoppenstedt“ und „Müller-Lüdenscheid“ Klassiker geworden sind, ganz zu schweigen von „Lord Heskerth-Fortescue von Gwyneth Molesworth in Nether Addlethorpe“, dem Wort „Quallenknödel“ oder dem Satz „Männer und Frauen passen einfach nicht zueinander“.

Vieles wird verschwinden, was heute hip ist oder gehyped wird, über Loriot wird man auch in hundert Jahren noch lachen.

Loriot hat als Zeichner angefangen, dann ging er ins Fernsehen, als älterer Herr drehte er sehr erfolgreich Kinofilme, zum Schluss inszenierte er, hochgelobt, Opern. Er war – nicht stilistisch, nur, was seine Bandbreite betrifft – Wilhelm Busch, Didi Hallervorden, Otto Waalkes und Katharina Thalbach in einer Person.

Die Wurzeln seines Humors aber lagen im Preußentum. Darüber, dass es kein Bundesland „Preußen“ gibt, konnte er sich aufregen. In seinem Wohnzimmer hingen die Bilder der Ahnen, auch ein Porträt Friedrichs des Großen, den er als frühen Verfechter des Toleranzgedankens bewunderte. Daneben standen Figuren von Möpsen, der Mops, sein Lieblingshund.

Loriots Großvater ist Chef der Leibkompanie des Kaisers gewesen und ein legendär lustiger Geschichtenerzähler, deshalb gehörte es zu seinen Aufgaben, dem Monarchen beim Essen auf amüsante Weise Gesellschaft zu leisten. Als der alte Loriot einmal nach den Witzen seiner Kindheit gefragt wurde, fiel ihm ein: „Unterhalten sich zwei preußische Offiziere. Sagt der eine, Kamerad, was haben Sie gestern gemacht? – Sagt der andere, ich bin in mich gegangen. – Und? – Ooch, nischt los.“

Der Vater, den er sehr liebte, war Polizeioffizier. Major. Ein gläubiger Christ, ein trotz seines Berufes sanfter Mann, der Taktgefühl für eine der wichtigsten Tugenden hielt. Auch der junge Vicco von Bülow hatte eine Offizierskarriere im Auge. Er war in Brandenburg an der Havel geboren worden, das humanistische Gymnasium besuchte er in Berlin und Stuttgart. Zeitweise, während der Scheidung seiner Eltern, lebte er im gemeinsamen Haushalt seiner Großmutter und seiner Urgroßmutter. Im Krieg wurde er Oberleutnant. Nach dem Krieg sattelte er um auf Humor, die andere Tradition des Hauses Bülow.

Eine Sekretärin des „Stern“ erzählte dem Arbeit suchenden Herrn von Bülow, der zuletzt als Holzfäller keine sehr erfolgreiche Figur gemacht hatte, bei einer Party, dass die Illustrierte dringend nach ein paar lustigen Zeichnern suche. Beim „Stern“ nahm Vicco von Bülow den Künstlernamen Loriot an, das französische Wort für den Pirol, das Wappentier der Bülows. Die Namensänderung hing mit familiären Rücksichten zusammen, mit Taktgefühl.

Es wurde zu einem Kennzeichen Loriots, eines hoch gebildeten, im Grunde konservativen preußischen Adeligen mit Wurzeln im 19. Jahrhundert, etwas scheinbar Unmögliches zustande zu bringen: unaggressiven, liebenswürdigen Spott. Seine Figuren sind lächerlich und trotzdem sympathisch. Ihr Schöpfer mag sie. Er steht nicht über ihnen, sondern neben ihnen.

Loriot, sein Markenzeichen, Lieblingswitze seiner Kindheit - lesen Sie mehr auf Seite 2.

Loriots Wahrzeichen ist das Männlein mit der grotesken Knollennase, es trägt ein altmodisches, großbürgerliches Kleidungsstück, den Stresemann. Sein wichtigstes Requisit ist das Sofa. Nie zuvor stand das Lebenswerk eines Künstlers in einem so engen Zusammenhang mit einem Möbelstück. Das Sofa, auf dem seine Figuren sich um Fassung bemühen, ist Loriots Bühne. Es steht für eine geordnete Welt, für Formen, die das Zusammenleben einfacher machen. Sie müssen aber gesprengt werden, damit es komisch wird. Die dritte Zutat, ohne die der Zeichner Loriot nicht der große, gefeierte Loriot geworden wäre, war seine Partnerin Evelyn Hamann, eine hoch begabte Schauspielerin, die ihm jahrzehntelang zur Seite stand, ihre eigene Karriere kam vielleicht zu kurz dabei.

Loriot war nicht harmlos, aber er war nur selten böse. Einmal wurde er gefragt: Was macht guten Humor aus? Es hänge mit dem Verlust von Würde zusammen, antwortete Loriot, und mit dem Misslingen. „Gelingen ist nie komisch.“ Es muss also, mit anderen Worten, eine Fallhöhe geben, einen Maßstab für das Richtige, das Gelungene, es muss Formen und Regeln geben. Je weniger verbindliche Spielregeln es in der Gesellschaft gibt, desto schwieriger wird es, Loriots feinen Instinkt für peinliche Situationen herauszubilden.

Auf die Frage nach den Lieblingswitzen seiner Kindheit, die er von seinem Vater aufgeschnappt hat, erzählte er auch diesen: „Herr Leutnant, Sie haben ja eine wahnsinnig nette Braut! – Finden Sie? Mir gefällt se nich.“

In dem gleichen Interview, mit der „Zeit“, erzählt der Reporter auch einen Witz, der einmal in der „Zeit“ abgedruckt wurde und über den die damalige Chefredakteurin, Gräfin Dönhoff, sich sehr aufgeregt habe, so etwas gehe nicht, Begründung: Über Leid mache man keine Scherze. „Was ist der Unterschied zwischen einem Epileptiker und einem Griesbrei? Der Griesbrei liegt in Zucker und Zimt, der Epileptiker sitzt im Zimmer und zuckt.“ Loriot sagt: „Da bin ich auf der Seite der Gräfin.“

Das zweite Kennzeichen des Künstlers Loriot, neben seiner gering ausgeprägten Aggressivität und seiner Menschenfreundlichkeit, ist zweifellos die Pedanterie gewesen. Rhythmus, Satzbau, Tempo, Genauigkeit, das sind die Dinge, auf die es beim Schreiben ankommt, viel mehr als auf Inspiration oder so etwas schwer Fassbares wie „Genie“. Ein einziges Wort zu viel oder zu wenig, kann alles kaputtmachen. Wenn Loriot sich selber lobte, was er nur selten tat, dann erwähnte er, dass er seit 1949 niemals eine Zeichnung oder einen Text verspätet abgeliefert habe und dass er immer versuche, das Bestmögliche zu liefern, und zwar unabhängig von der Prominenz des Mediums, für das er arbeitete, und auch unabhängig von der Höhe des Honorars. Er sei, sagte er, „unbedingt für das Leistungsprinzip“. Seine Arbeitstage begann er am liebsten um 17 Uhr, er arbeitete in die Nacht hinein.

Loriot als Pionier - lesen Sie mehr auf Seite 3.

Wenige wissen, dass ausgerechnet Loriot es gewesen ist, der als Erster einen unbekleideten weiblichen Körper im deutschen Fernsehen untergebracht hat, einen gezeichneten, in einem Cartoon des Jahres 1969. Bekannter ist die Tatsache, dass es nur Loriot gelungen ist, eine gleichzeitige Filmpremiere in Ost- und in West-Berlin zu organisieren, die Premiere von „Ödipussi“ im jahr 1988. Alle mochten ihn, alle respektierten ihn, sogar Erich Honecker, und genau dies ist denn auch der einzige Vorwurf, der ihm in den letzten Jahren gemacht wurde.

Er sei Konsens. Er war kein Distinktionsmerkmal, niemals. Mit dem Satz „Ich mag Loriot“ kann man nicht auf sich aufmerksam machen, nirgends. Es gab auch niemals private Geschichten oder gar Enthüllungen. Loriot war seit 1951 verheiratet, er hat zwei Töchter, und damit genug. Auf die Frage, ob er „angepasst“ sei, antwortete er, höflich wie immer: „Ich bin angepasst, wo es sinnlos wäre, sich aufzulehnen.“ Aber man darf sich über seinen Eigensinn nicht täuschen lassen. Loriot wurden mehrmals Millionenbeträge für Werbeauftritte angeboten. Er lehnte ab, natürlich nicht aus einer grundsätzlichen Ablehnung der Werbung heraus. Er fand einfach, es passe nicht zu seinem Stil.

Er sprach auch nicht schlecht über Arbeitgeber. Allenfalls ließ er in einem Interview einmal die Bemerkung fallen, dass seine Fernsehbeiträge von damals unter den heutigen Bedingungen unmöglich produziert werden könnten. Zu leise in der Tonlage, zu langsam im Tempo, zu aufwendig und pedantisch hergestellt. In den letzten Jahren pendelte er zwischen seinem Wohnsitz am Starnberger See und einer Wohnung am Berliner Savignyplatz, einem großstädtischen Dorf, der Gegend, die er von seiner Kindheit kannte.

Dass Loriot außerhalb Deutschlands fast unbekannt geblieben ist, sollte man weder verschweigen noch überbewerten. Wenn Humor etwas mit den Regeln, Ritualen und Umgangsformen einer Gesellschaft zu tun hat, dann ist es eben schwierig, die Grenzen dieser Gesellschaft zu überschreiten, es sei denn, man arbeitet auf englisch. Außerdem sind deutsche Humoristen oft regional verwurzelt, sie sind unverkennbar Bayern, Norddeutsche, Ruhrpott. Ein Münchner Journalist, der ihn vor nicht allzu langer Zeit in Starnberg besucht hat, wunderte sich darüber, dass Vicco von Bülow nach so vielen Jahrzehnten in Bayern unverkennbar ein Berliner geblieben sei, ein Preuße sogar.

Der letzte Preuße war ein Humorist, schau an. Gestern ist er gestorben, mit 87 Jahren.

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