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ZUR PERSON: Klassik am kalten Buffet

Pamela Rosenberg, Intendantin der Berliner Philharmoniker, über Lunchkonzerte und offene Türen

Frau Rosenberg, haben die Berliner Philharmoniker ihr Jubiläum verschlafen?

Es wurde intern lange diskutiert, was das Jubiläum für die Philharmoniker bedeutet. Die wichtigste Frage war dabei: Wissen wir alles über diese 125 Jahre? Nein, da gibt es eine Periode, die bislang meist übersprungen wurde: die Nazizeit. Die Erforschung der Zeit von 1933 bis 45 war für das Orchester extrem wichtig. Es war wie eine sehrende Wunde. Das Ergebnis – in Misha Asters Buch „Das Reichsorchester“ festgehalten – ist unter anderem, dass Künstler keine Heiligen sind, die Philharmoniker haben sich nicht anders verhalten als das deutsche Volk. Ein Beispiel: Durch den persönlichen Schutz von Goebbels ersparten sich die Musiker die Einberufung.

Die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit ist unbestritten verdienstvoll. Wo aber bleibt bei diesem Jubiläum der festliche Glanz, der Glamour?

Simon Rattle hat gesagt: Lasst uns nicht bei der inflationären Eventkultur mitmachen. Und viele Musiker sehen das ebenso. Wir finden es viel spannender, am 4. November den ganzen Tag lang in allen Sälen der Philharmonie unser großes Orchesterfest zu machen – bei freiem Eintritt. Schauen Sie sich das Programm an: Diese stilistische Vielfalt gerade an Kammermusik kann Ihnen kein anderes Orchester der Welt bieten. An der Art, wie hier gefeiert wird, können Sie den zutiefst demokratischen Geist der Philharmoniker erkennen.

Sie sind als Intendantin mit dem Ziel angetreten, neues Publikum zu erschließen. Dabei sind doch fast alle Orchesterkonzerte ausverkauft.

Was mir Sorgen bereitet, ist, dass es durch die sensationelle Auslastung enorm schwer ist, auch andere Zielgruppen zu erreichen als unser Stammpublikum. Jede Traditionsinstitution braucht aber frisches Blut. Darum reservieren wir seit dieser Saison für alle großen Konzerte jeweils 50 Tickets für Menschen unter 28 Jahren: Das ist kein Last-Minute- Angebot, die kann man ganz normal für 15 Euro erwerben im Vorverkauf oder im Internet – nur beim Abholen muss man seinen Ausweis vorzeigen. Das soll ein Signal sein: Es ist Platz für jüngere Menschen, die hierherkommen wollen.

Wen wollen Sie mit den kostenlosen Lunchkonzerten locken, die Sie ab heute jeden Dienstag veranstalten?

Zum Beispiel alle, die am Potsdamer Platz arbeiten, rund 6000 Menschen. Außerdem liegen in den Museen am Kulturforum unsere Flyer aus, wir wollen auch die Touristen ansprechen. Es soll ganz locker zugehen. Die Konzerte sind 30 bis 40 Minuten lang, wer schnell weg muss, kann sich hier auch nur ein Sandwich kaufen. Wer mehr Zeit hat, bleibt da. Es wird Stehtische geben und ein kaltes Buffet.

Die Interpreten sind nicht nur Berliner Philharmoniker.

Wir haben es unseren Musikern freigestellt, ob sie mitmachen. Bis jetzt war die Resonanz gut, zumal sie ja dafür keinen Cent bekommen. Da es mir aber ganz generell um die Öffnung der Philharmonie geht, sollten auch Musiker anderer Orchester dabei sein. Den Anfang aber machen Philharmoniker, am 18. unser Posaunist Thomas Leyendecker, in der Woche darauf folgt der Geiger Stanley Dodds mit dem Pianisten Vladimir Stoupel, am 30. Oktober dann spielen Aline Champion, Bettina Sartorius und Madeleine Carruzzo Streichtrios.

Eine andere Art der Publikumspflege ist die Einführung ehrenamtlicher Helfer.

Wir haben fast 400 Bewerbungen gehabt und konnten nur 30 auswählen, die dann gut vorbereitet wurden. Bei den Konzerten im großen Saal schwirren sie überall in den Foyers herum und sind leicht an unseren Orchesterfarben zu erkennen: blau und goldgelb, mit einem Schal für die Frauen und einem Einstecktuch für Männer. Über unsere Ehrenamtlichen haben wir etwa herausgefunden, dass viele auswärtige Besucher sich Programmhefte in englischer Sprache wünschen. Darauf reagieren wir, indem wir jeweils eine Kurzversion übersetzen lassen.

Ihre zweite Neuerfindung in dieser Saison ist eine Serie mit türkischer Musik. Erstaunlicherweise sind das Konzerthaus wie auch die Rundfunkorchester und -chöre GmbH auf dieselbe Idee gekommen.

Das hat mich auch überrascht, ich dachte, wir seien die Ersten. Wir haben die größte türkische Community außerhalb der Türkei hier in Berlin…

… was aber nicht automatisch bedeutet, dass wir deshalb auch türkische Musik hören müssen.

Doch! Wir sollten neugierig auf die Kultur unserer Mitbewohner sein. Und umgekehrt. Wir können doch nicht ewig in separaten Welten nebeneinander leben. Historisch gab es diesen Austausch der Kulturen in der Musikgeschichte immer. Die Prinzessinnen im Harem im 19. Jahrhundert beispielsweise komponierten selber, bestellten sich Flügel aus Europa, ließen sich Beethoven-Partituren kommen. Was wir mit der „Alla turca“-Serie anbieten, ist zunächst auf die Mittelschicht ausgerichtet. Mal sehen, ob wir in der kommenden Spielzeit auch Konzerte organisieren können, die stärker Jugendliche ansprechen. Es ist anspruchsvoll, wenn wir Hofmusik aus dem Konstantinopel des 18. Jahrhunderts dem Musikgeschmack Friedrichs des Großen gegenüberstellen oder Sufi-Tänze der Gregorianik.

Liturgische Kompositionen des Mittelalters sind für die normalen Konzertbesucher so exotisch wie türkische Musik.

Ja, genau. Da ist Neugier in beide Richtungen gefragt. Es geht doch auch darum, dass die türkischen Mitbürger mit einem gewissen Stolz zu diesen Konzerten kommen, denn sie haben eine faszinierende Musiktradition in ihrem Land. Alles, was uns zueinander führt, ist lohnenswert. Sonst hat man nur Klischees im Kopf.

Seit gut einem Jahr sind Sie jetzt im Amt. Ist die Phase der Überraschungen und Enttäuschungen vorbei?

Die Orientierungsphase war tatsächlich vielschichtiger als erwartet. Ich dachte, die Berliner Philharmoniker zu leiten, wäre bei weitem nicht so komplex wie die Führung eines Opernhauses. Aber es ist anders kompliziert, das hat mit unserer basisdemokratischen Struktur zu tun. Hinzu kommt die Stiftungskonstruktion, die mit sich bringt, dass wir bei allen wichtigen Fragen Konsens erreichen müssen. Daraus resultiert eine sehr intensive Kommunikation. Das ist gesund fürs Betriebsklima, aber auch langwieriger.

Sind Sie ein ungeduldiger Mensch?

Glücklicherweise nicht. Was ich immer konnte, ist Zuhören. Für mich als Intendantin geht es nicht darum, dass ich meine Visionen verwirkliche. Ich kann anregen, auch anstacheln, aber meine Arbeit lässt sich letztlich mit der einer Hebamme vergleichen: Man ist unsichtbar, hilft und danach ist man vergessen.

Wie kommen Sie mit Berlin zurecht?

Ich habe mich bestens eingelebt. Kulturell ist Berlin für mich so spannend wie New York – aber was haben wir hier für eine Lebensqualität! Die Seen, die Straßencafes, diese lässige Lebenshaltung. Keine andere Großstadt mit vergleichbarem Wahnsinnskulturangebot hat die humanen Dimensionen von Berlin.

Das Gespräch führte Frederik Hanssen.

Pamela Rosenberg wird 1945 in Los Angeles

geboren und wächst in Caracas (Venezuela) auf. In Berkeley studiert sie Musik, Geschichte und Literatur, bei

Wieland Wagner
in

Bayreuth sammelt sie Theatererfahrungen. 1980 wird sie persönliche Referentin von

Michael Gielen an der Oper in Frankfurt am Main. 1990 wechselt sie mit Klaus Zehelein nach Stuttgart, um 2001 als Generalintendantin an die Oper von San Francisco zu

gehen. 2006 wird sie

Intendantin der Berliner Philharmoniker.

Rosenberg ist verwitwet und hat zwei Söhne.

Heute um 13 Uhr

starten die Philharmoniker ihre neue Reihe mit Lunchkonzerten im Foyer der Philharmonie. Die Konzerte finden ab jetzt jeden Dienstag statt, der Eintritt ist frei. Weitere Informationen unter www.berliner-philharmoniker.de

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