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Kultur: Zur Sache, Schätzchen!

Die junge Frau, die allein ohne Männerbegleitung ein Café aufsucht, verkörpert in der Weimarer Republik einen neuen selbstbewussten Typ. Schubkraft hat diese Emanzipation durch die Turbulenzen des Ersten Weltkrieges gewonnen, in dem gewohnte Rollenbilder durcheinander gerieten, nicht zuletzt weil Frauen daheim männliche Arbeitsaufgaben übernehmen mussten.

Die junge Frau, die allein ohne Männerbegleitung ein Café aufsucht, verkörpert in der Weimarer Republik einen neuen selbstbewussten Typ. Schubkraft hat diese Emanzipation durch die Turbulenzen des Ersten Weltkrieges gewonnen, in dem gewohnte Rollenbilder durcheinander gerieten, nicht zuletzt weil Frauen daheim männliche Arbeitsaufgaben übernehmen mussten.

Die Ausstellung "Neue Sachlichkeit in Hannover" umkreist mit drei Bildern dies für die Malerei der 20er Jahre charakteristische Sujet. Das erste stammt von Otto Dix und zeigt die Journalistin Sylvia von Harden. Das Bild ist 1926 entstanden, ein Jahr, nachdem Dix von Düsseldorf nach Berlin übergesiedelt war. Das Leben der Metropole prägt das Werk, das mit seinen kalten Farben und präzisen Formen eine Ikone neusachlicher Porträtierungskunst ist. Die Frau am Cafétisch, rauchend, einen Drink neben sich, schaut mit einem Monokel aus dem Bild. Was sie wahrnimmt, ist der Stoff, von dem sie sich als Autorin nährt. Ihre Hände, Haltung und Züge haben etwas Spinnenartiges, Vampirisches. Eine "Bestie des Intellekts", die im Kaffeehaus das ihr gemäße Soziotop gefunden hat.

Wo Dix frauliche Züge im Gestus der Karikatur präsentiert, zeigt Christian Schad 1928 eine junge Frau, "Lotte", mit modischem Garçonne-Schnitt und wachen, wissenden Augen als zeitgebundenen Inbegriff weiblicher Schönheit. Schad, unter den Neusachlichen sicher der Sachlichste, malt diese Schönheit ohne Pathos und Verklärung, sondern als klinische Anamnese.

Zu den bekannteren Protagonisten der Neuen Sachlichkeit in Hannover zählt indessen ein anderer: Ernst Thoms. Sein "Mädchen im Café" aus dem Jahre 1925 zeigt eine junge Frau im blauen Kleid und schwarzen Hut. Sie sitzt deutlich unsicher auf ihrem Stuhl, neben sich eine Tasse Kaffee, unberührt, als fühle sie sich weder im Café noch als selbst bestimmte Frau besonders wohl. Wo Schad und Dix, das Umfeld des Cafés vernachlässigend, sich auf die Frau konzentrieren, malt Thoms die Kaffeehaussituation im Detail beinahe liebevoll aus.

Die Sequenz der drei Bilder enthält in nuce das Ausstellungsprinzip der Schau im hannoverschen Sprengel Museum. Denn Kurator Christian Fuhrmeister ordnet die Künstler der Neuen Sachlichkeit aus Hannover in den Kontext anderer, neusachlicher Zentren wie München, Karlsruhe, Köln, Berlin und Dresden ein. Dass er demonstrieren will, wie die hannoverschen Künstler sich thematisch und gestalterisch auf der Höhe ihrer Zeit bewegten, gelingt und gelingt auch wieder nicht. Eindrucksvoll und zuweilen überraschend legt die Schau durch ihre motivische Hängung dar, wie stark die neusachliche Bewegung auf einzelne Themen wie Porträt, Großstadt, Arbeitswelt, Wirtschaftselend, Sexualität und Kriminalität fixiert war. Aber im direkten Vergleich werden auch große Unterschiede deutlich. Zwar wäre es ignorant, Künstler wie Ernst Thoms, Friedrich Busack, Grethe Jürgens, Hans Mertens, Gerta Overbeck, Karl Rüter und Erich Wegner allesamt als "naiv-poetische", "naiv-beschauliche" Amateur- und "Sonntagsmaler" abzutun, wie es gelegentlich getan wurde, aber einen Schad, einen Dix, einen Grosz hat es unter ihnen nicht gegeben. Die schwankende Qualität innerhalb der Hannoveraner-Gruppe erklärt zudem die paradoxe Einschätzung ihrer Arbeiten während der Nazizeit. So wurden Werke derselben Künstler (Thoms, Jürgens, Rüter) als entartet gegeißelt und andere als vorbildlich gelobt.

Die im Katalog verbreitete "Sonderweg"-These der Ausstellung steht auf wackeligeren Füßen. Hannover war in den zwanziger Jahren mit der Galerie von Garvens und der Kestner Gesellschaft ein Zentrum der Moderne. Abstraktion, Konstruktivismus und Schwitterssche Merz-Kunst, so Fuhrmeister, hätten die Hannoveraner Neusachlichen entscheidender als anderswo beeinflusst. Dem widersprechen jedoch schon die eingangs skizzierten Bilder: Der Hintergrund von Schads "Lotte" zeigt eine abstrakte, wie mit dem Seziermesser entworfene Architektur. Demgegenüber tragen die konstruktiven Formeln von Ernst Thoms oder auch von Gerda Overbeck geradezu konventionell klassizistische Züge.

Michael Stoeber

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