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Kultur: ZURÜCK - VARIETÉ

Noch ein Zwanziger-Jahre-Abend, noch ein Sänger im dunklen Frack, noch ein Orchester, das Charleston, Tango und Foxtrott intoniert.So etwas hat man in dieser Stadt wahrscheinlich schon des öfteren gehört.

Noch ein Zwanziger-Jahre-Abend, noch ein Sänger im dunklen Frack, noch ein Orchester, das Charleston, Tango und Foxtrott intoniert.So etwas hat man in dieser Stadt wahrscheinlich schon des öfteren gehört.Neu aber ist die Optik: Die elfköpfige Kapelle nämlich, die jeden Freitag und Sonnabend um 23 Uhr im Tränenpalast aufspielt, besteht ausschließlich aus Frauen, die allesamt in glitzerndes blaues Satin gehüllt sind und mit Straußenfedern verzierte Turbane tragen.Ein entzückenderes Bild dürfte derzeit keine andere Berliner Bühne zu bieten haben.Kapellmeister Viktor Grothe, der das Victoria Orchester Berlin ganz unbescheiden nach sich selbst benannt hat, möchte den Glamour der Zwanziger "wieder dahin bringen, wo er hingehört", nämlich in die Friedrichstraße.Daß der Glamour allerdings ausgerechnet in den Tränenpalast mit seinem DDR-Ambiente gehört, darf bezweifelt werden.Bei der Premiere am letzten Wochenende jedenfalls konnten die untadelig spielenden Musikerinnen die Herzen des fröstelnden Publikums nur bedingt erwärmen, was vor allem an den stimmungstötenden Moderationen des Maestros lag: "Es geht weiter mit einem Stück, das wir in dieser Form noch nicht gespielt haben.Wir haben nämlich verschiedene Stücke im Programm." Als Conférencier wie als Sänger orientiert sich Grothe unübersehbar an Max Raabe, hinter dem er aber schon mimisch weit zurückbleibt: Allzu steif ist die Haltung, allzu ruckartig zucken die Brauen, statt sich wie bei Raabe bedeutungsvoll zu heben.Nur einmal, bei der bösen Ballade "Ich fahr mit meiner Clara in die Sahara", fiel Grothe aus der selbstgewählten Rolle, zerwühlte sich das pomadige Haar und sah plötzlich aus wie ein expressionistischer Hexenmeister.Und mit einem Mal schien es, als spielten auch die elf Damen im Hintergrund ein wenig gelöster.

JÖRG THOMANN

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