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INTERNATIONALES LITERATURFEST BERLIN Das ist ja auch mal was: Ein Kasten Kölsch auf der Bühne und Zigaretten qualmen, bis ein Verweis des Feuerschutzbeauftragten durchdringt. So sieht es aus, wenn Navid Kermani und seine Freunde Neil Young hören – am Freitagabend in den Sophiensälen .

INTERNATIONALES LITERATURFEST BERLIN

Das ist ja auch mal was: Ein Kasten Kölsch auf der Bühne und Zigaretten qualmen, bis ein Verweis des Feuerschutzbeauftragten durchdringt. So sieht es aus, wenn Navid Kermani und seine Freunde Neil Young hören – am Freitagabend in den Sophiensälen . Eigentlich könnten sie das auch zu Hause machen, meint Kermani. Der Islamwissenschaftler, Theatermann und Journalist hat vor kurzem „Das Buch der von Neil Young Getöteten“ veröffentlicht, seine Freunde sind Carl Hegemann, Chefdramaturg der Volksbühne, der Ex-„Spex“-Chefredakteur Christoph Gurk und der Publizist Mathias Greffrath.

Jeder schlägt einen Song vor, zwischendurch wird verbal improvisiert. Kermani liebt an Young, „dass Trauer, Glück und Verzweiflung ineinander übergehen, na ja“. Hegemann hält den Kanadier für einen großen Philosophen des Alltags, fährt schweres Geschütz auf: Hölderlin, Wagner und die „depressive Grundlage aller Vitalität“. Das Publikum ist höchst amüsiert. Gurk bemüht sich als Musikspezialist, den Diskurs zu erden. Und Greffrath, bekennender Nicht-Fachmann, bringt Neil Youngs politischen Konservatismus ins Spiel. Kurz nach halb eins ereilt das Podium die polizeiliche Botschaft, es betreibe Ruhestörung. Just in dem Moment, als die Dramaturgie des Abends verlangt, „Arc“ zu spielen. Ein Stück, in dem Young die Rückkoppelungseffekte einer Tournee zusammengestellt hat. Krach pur. Wenigstens wurde nicht getanzt, wie es das Programm versprochen hatte.

Jabbar Yassin Hussin ist verbittert. Wer will es ihm verdenken. Weil er sich als Jugendlicher den Kommunisten anschloss, war er inhaftiert und gefoltert. 1976 musste der heute 50-Jährige sein Land, den Irak, in Richtung Frankreich verlassen. Im Exil hat er eine Zeitschrift mitbegründet, Erzählungen und Essays geschrieben. Während einer Diskussion über die Rolle der Intellektuellen unter Saddam klagte er kürzlich, seit dem Putsch, der die Baath-Partei 1968 an die Macht brachte, habe es im Irak lediglich „ein Leben in Lüge“ gegeben. Die Literatur, die in den Achtziger- und Neunzigerjahren entstand, nennt er „oberflächlich, rassistisch, für Geld geschrieben“.

Seine Gesprächspartnerin Amal al-Jubouri (Jahrgang 1967) war zu jung zur Emigration. Sie hält dagegen, dass die „Intellektuellen des Inneren“ auch Opfer gewesen seien – des Systems, des Krieges gegen den Iran und des internationalen Boykotts. Helden freilich habe es nicht gegeben. Keinen, „der gegenüber Saddam ein klares Nein gesagt hat.“ Hussin war im Mai einer der ersten, die in ihre Heimat zurückgekehrt sind. Von den ehemals 100 gut bestückten Buchhandlungen in Bagdad hat er keine einzige gefunden. Ganze drei Bücher seien 2003 im Irak veröffentlicht worden. Im intellektuellen Irak ist die Auseinandersetzung zwischen Exilanten und „inneren Emigranten“ in vollem Gang. Hussin liest heute (19.15 Uhr) in den Sophiensälen aus seiner Erzählung „Der verirrte König“. Steffen Richter

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