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Kultur: Zurück zur Form

POP

Falls es eine Formel für den einen typischen Air-Song gibt, wie es das Cover des neuen Albums „Talkie Walkie“ suggeriert (Labels/EMI), wurde sie wohl am ehesten bei „Venus“ angewandt: Eine drängend auf das Klavier gehämmerte Zweiakkord-Folge und eine sanfte Gitarre eröffnen den TeenagerPop – das kennen wir von früher. Ebenso das Songfinale, in dem das majestätische Zirpen eines Grillenschwarms den interplanetarischen Liebesakt ankündigt: „You could be from Venus, I could be from Mars/ We would be together, lovers forever.“ Das kindliche Faible für Aliens ist dem französischen Duo nicht verloren gegangen. Neu dagegen ist, dass Air nun mit Michel Colombier zusammenarbeiten, dem Streicher-Arrangeur aus dem Umfeld von Serge Gainsbourg.

Der Melodramatik französischer Popmusik verpflichtet, präsentieren sich die Studiotüftler Nicolas Godin und JB Dunckel als befrackte Edelmänner. Dafür kombinieren sie akustische Instrumente mit Streichern und einer spärlichen Percussion, die an die Stücke aus ihrer erfolgreichen „Moon Safari“- Ära erinnern. Doch macht sich in der noch jungen Air-Karriere mit dem Rückgriff auf die altbewährten Schlafzimmer-Sounds erstmals auch Langeweile breit.

1995 stiegen Godin und Dunckel mit der tanzbaren Kuscheligkeit ihrer Debüt-Single „Modular Mix“ in die Spitze europäischer Clubmusik auf. Zusammen mit befreundeten Kollegen etwa von Daft Punk prägten sie das auslaufende Millennium beinahe im Alleingang. Mittlerweile ist dieser Frankreich-Trend abgeebbt. Keinem der Pariser Disco-Stars der Neunzigerjahre gelang in jüngster Vergangenheit ein Hit. Zuletzt scheiterte Mirwais mit einem konservativen Produktdesign von Madonnas „American Life“. Air hingegen wagten schnell die Neuorientierung. Mit „10000 hz Legend“, einer Mischung aus Chanson, Robotergeflüster und KraftwerkRhythmen, nahmen sie 2001 ihr musikalisch überzeugendstes Album auf. Nur wollte das auch keiner mehr hören.

Trotzdem wird Air jetzt eine zweite Chance zugebilligt. Das bestenfalls nette „Talkie Walkie“ wird bereits als Rückkehr zum Formbewusstsein gepriesen – was für Air, deren Motivation stets der Stilwechsel war, ein herber Rückschritt ist. „Dies ist unser Love-Album“, sagt Godin im Interview: „Wir singen das, was wir unseren Mädchen sonst nicht zu sagen trauen.“ So etwa auf ihrer Banjo-Ballade „Biological“. Darin rechtfertigen sie ihren Paarungsdrang mit dem Urtrieb: „XX, XY/ that’s why/ it’s you and me.“ Immerhin: das ist so simpel gesagt und gut, so uncharmant, dass es ihrem Vorbild Gainsbourg bestimmt gefallen hätte.

Sassan Niasseri

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