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Kultur: "Zusammen": Als Lena aus der Kommune flog und bei Mami unterkroch

Was, wenn die Gesellschaft ein Haferbrei wäre? Wenn wir nicht alle einsame, trockene Haferflocken wären, sondern ein warmer, weicher Brei?

Was, wenn die Gesellschaft ein Haferbrei wäre? Wenn wir nicht alle einsame, trockene Haferflocken wären, sondern ein warmer, weicher Brei? Wenn das Leben sich nicht in Single-Wohnungen oder Kleinfamilien abspielte, sondern in einer großen Kommune? Es gab mal eine Zeit, da wurden solche Fragen gestellt. Lange, lange her.

Am Anfang steht eine Radionachricht: Franco ist tot. Der Faschismus ist am Ende in Europa, die linken Utopien blühen noch. Mehr oder weniger. Stockholm, 1975: Rolf verprügelt seine Frau Elisabeth, sie flieht mit den Kindern Eva und Stefan aus der Wohnung in die Wohngemeinschaft von Göran, dem Erfinder der Haferbrei-Metapher. Dort, in der Kommune "Zusammen" von Lena, Erik, Anna, Lasse, Klas, Signe, Sigvard und Tet, herrschen milder Kommunismus und freie Liebe, Gleichberechtigung der Frau und Vegetarismus. Kinder dürfen kein Kriegsspielzeug besitzen, Fernseher sind tabu.

Das Eindringen der Familie wird die instabile Harmonie ins Wanken bringen. Der Film erzählt seine Geschichte vorwiegend aus der Sicht von Kindern. Von Stefan, dem in der Kommune der Vater fehlt. Von Tet, der nach der Vietnam-Offensive benannt ist. Vom pummeligen Nachbarssohn Fredrik und der hübschen Eva, die sich aus ihrem Pubertätskokon herauswinden. Distanzierte Erzählperspektive macht die Ironie leichtfüßig. Eva und Fredrik haben Kassenbrillen mit der gleichen Dioptrienzahl, die gleiche Sicht auf die Welt: Erwachsene sind scheiße! Hässliche Kleider, schlechte Musik, keine Weihnachtsgeschenke! Klar dass die Kinder irgendwann rebellieren. Sie wollen Hotdogs, TV, Spielzeugpistolen. Aber nicht allein sein beim Größerwerden. Nur: Die Elterngeneration ist beschäftigt, die Welt zu verändern oder sich selbst. Anna rasiert sich die Achselhaare nicht mehr, sie findet Schönheitsideale patriarchalisch. An der Wand hängt ein Plakat, das die USA als Mörder brandmarkt. Gleichzeitig wird amerikanische Black Music aufgelegt. So viele Widersprüche! Und erst die Geschlechtergrenzen! Anna, geschieden, flirtet mit Elisabeth. Klas verführt Annas Ex-Mann Lasse. Andererseits ist Anna schockiert, als sie Lasse mit Klas im Bett findet. Erst ist Sexualität nur eine soziale Konstruktion, plötzlich steht dawieder das Ideal der heterosexuellen Monogamie.

Ohne Zorn richtet Regisseur Lukas Moodysson seinen Blick zurück auf die Kommune als den Mikrokosmos der Versuchsanordnungen. Seit Ang Lees "Eissturm" hat kein Film die Atmosphäre der 60er, 70er Jahre detailgetreuer beschworen: Strickpullis, bemalte VW-Busse, Meditationssitzungen, Rosa-Luxemburg- und Che-Guevara-Poster, Musik von ABBA bis Nazareth. Ein grandioses period piece. Der 31jährige Moodysson hat nach seinem Debüt "Raus aus Amal", einer feinfühligen Studie über lesbische Teenager, den bisher überzeugendsten Film zur 68er-Debatte gedreht, einen Pflichtfilm für alle, die nicht dabei waren. Und für Altrevolutionäre erst recht. "Zusammen" erinnert in seinem genauen Blick auf die Familie an Ingmar Bergman, ist allerdings nicht protestantisch streng, sondern von melancholischer Beschwingtheit. Moodyssons Vorbilder sind Mike Leigh, Ken Loach und John Cassavetes. "Als ich das erste Mal daran dachte, Filmemacher zu werden, war das nicht aus Leidenschaft für Filme, sondern aus Langeweile. Ich wollte einfach mein Leben verändern", sagt er.

"Zusammen" sehnt sich verhalten nach der Geborgenheit der Kernfamilie, diesem überkommenen Gebilde, das die Revoluzzer so laut attackierten. Auch die brüchige Nachbarfamilie besteht aus frustrierten Spießbürgern, die mit dem Fernglas in Kommunen-Fenster spannen. Der Vater masturbiert im Hobby-Keller, die Mutter häkelt allein auf der Couch. Doch der Film hält sich mit Rechthabereie zurück. Moodysson weiß nur, dass die großen Utopien in die falsche Richtung liefen. Erik, der Kommunist, zieht aus. Wer will sich schon dauernd sein marxistisch-leninistisches Geschwafel anhören? Er wird sich der Baader-Meinhof-Gruppe anschließen - was in der deutschen Synchronfassung verschwiegen wird. Mit Lena wiederum scheitert das Prinzip der freien Liebe. Sie fliegt aus der Kommune und kriecht heulend bei Mami unter. Signe und Sigvard, die ihre vegetarischen, pazifistischen Dogmen befolgt wissen wollen wie einen Säkularkatechismus, ziehen ebenfalls ab. "Fundamentalistische Auslegungen von Idealen lehne ich ab", sagt Moodysson. "Ich stimme feministischen Vorstellungen zu. Andererseits finde ich, dass Britney Spears verdammt gut aussieht. Sowas muss man sagen dürfen, ohne als Verräter zu gelten."

Wer übrigbleibt, spielt Fußball im Schnee. Männer und Frauen. Kinder, Erwachsene. Spießbürger und Hippies. Selbst der einsame Alte, der seine Wasserleitungen aufschraubt, um mit dem Klempner zu reden, ist dabei. "Der größte Fehler der Linken war, dass sie ihre Türen nicht den gewöhnlichen Leuten öffnete, sie hätten Fußball mit dem Klempner spielen sollen." sagt Moodysson. Für ihn ist dies Ende ein Traum. Der Traum von der Welt als Haferbrei.

Julian Hanich

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