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Kultur: Zuschauen und verdrängen

„The Bang Bang Club“, ein Film über vier Kriegsfotografen in Afrika zur Zeit der Apartheid

Es ist ein furchtbares Bild. Vielleicht hätte es nie aufgenommen werden dürfen, obwohl es die Welt erschüttert und die höchste Auszeichnung, den Pulitzerpreis, gewonnen hat. Doch dem Fotografen hat es kein Glück gebracht. Kevin Carter nahm sich 1994 das Leben, ein Jahr, nachdem er im Sudan ein etwa zweijähriges Mädchen dabei beobachtet hatte, wie es auf dem Weg zur Essensausgabe irgendwo in der Nähe einer UN-Hilfsmission vor Entkräftung zusammengesackt war und nicht weiter konnte. Im Hintergrund war ein Geier zu sehen. Carter hatte noch darauf gewartet, dass der vielleicht die Flügel ausbreiten würde. Aber er tat es nicht.

Dass etwas mit diesem Foto grundsätzlich nicht stimmte, merkte Kevin Carter, als man ihm eine einfache Frage stellte: Was ist aus dem Kind geworden? Carter wusste darauf keine Antwort. Aber er sei doch dort gewesen? Ja, schon … Er hätte doch helfen können? Ja, schon … Carter hatte natürlich vollkommen recht, wenn er antwortete, dass es nicht sein Job gewesen sei,zu helfen. Er könne nicht jedem helfen, der in Not geraten sei. Als Fotoreporter könne er etwas viel Mächtigeres vollbringen, nämlich verhindern helfen, dass überhaupt Kinder in der afrikanischen Glut verhungern. Aber über ihn selbst war das Urteil gesprochen, als Mensch hatte er kläglich versagt. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere fiel Carters Leben auseinander. Er ahnte, dass auf dem Bild zwei Geier anwesend waren. Er selbst einer davon.

Als sich der Filmregisseur Steven Silver für den Stoff zu interessieren begann, waren die neunziger Jahre längst vorbei, das düstere Jahrzehnt der Zerfallskriege, in dem ein gutes Foto zuweilen mehr ausdrücken konnte als eine politische Analyse. James Nachtwey, ein Kollege und Freund Carters, war inzwischen zur moralischen Lichtgestalt der Kriegsreportage aufgestiegen, unter anderem mit einem Bild, das ihn selbst zeigte mit einem hungernden afrikanischen Baby auf dem Arm. Carters Dilemma verblasste. Als er, gespielt von Taylor Kitsch, zu Beginn von Silvers „The Bang Bang Club“ gefragt wird, was ein gutes Bild ausmache, verstummt er. Die Stille, im Radio, macht seine Ratlosigkeit zu einem riesigen Loch. Das fängt schon mal gut an.

Aber dass etwas grundsätzlich nicht stimmt mit dem Film, merkt man in der Mitte. Da wird das Geier-Bild gezeigt und wie es zustande kam, man hört das Wimmern des erschöpften Kindes, hört das Klicken der Kamera. Gegen die emotionale Wucht von Carters Original-Aufnahme kommt der Film nicht an. Zumal die Szene einen völlig unvorbereitet trifft.

Von der ursprünglichen Idee, einen Film über Kevin Carter zu drehen, rückte Silver bald ab. Stattdessen erzählt er die Geschichte vier junger Fotoreporter, darunter Carter, die Anfang der Neunziger den Kollaps des Apartheidregimes dokumentieren und wegen der zahlreichen Feuergefechte „Bang Bang Club“ genannt werden. Gemeinsam wagen sie sich in die Todeszonen der Slums, weil es allein zu gefährlich wäre. Und sie konkurrieren miteinander um das beste Bild. Der Star unter ihnen, der als erster einen Pulitzerpreis gewinnt, ist Greg Marinovich. Zu Beginn sieht man Ryan Phillippe als Marinovich in eine Township fahren, ein ANC-Anhänger ist erschlagen worden, die Mörder ziehen mit Lanzen, Macheten und Schilden in eine nahe gelegene Siedlung. Es kommt zu einer ersten Begegnung mit den späteren Freunden Carter, Ken Oosterbroek und João Silva, aber nur Marinovich gibt sich nicht mit einer Leiche zufrieden und folgt dem Zulu-Mob. Er wird derjenige sein, der sich stets am weitesten vorwagt.

Ryan Phillippe spielt Marinovich mit der ungebrochenen Vitalität eines Neulings, der instinktiv das Richtige tut und sich nicht abschrecken lässt von den Gräueltaten um ihn herum. Der blonde Bursche steht im Mittelpunkt dieses Bürgerkriegsfilms, der den Konflikt zwischen Nelson Mandelas ANC und der Zulu-Partei IFP im Vorfeld der ersten freien Wahlen in Südafrika detailliert nachstellt. Phillippe zeigt, wie normal es ist, einfach weiter zu fotografieren, während ein Mann auf offener Straße mit Benzin übergossen, angezündet und mit einem Machetenhieb niedergestreckt wird. Er trinkt und liebt, grübelt auch darüber nach, was er tun soll, wenn die Gewalt eines Tages vorbei sein wird. Aber vor allem ist er der gute Kumpel.

Frank Rautenbach als Ken Oosterbroek und Neels van Jaarsveld als João Silva sind ebenfalls gute Kumpel. Der eine mehr der Profi, der andere mehr der Moralist. Nur Kevin Carter fällt aus dem Rahmen. Er schlurft als verkrachte Existenz durch die Szenen, meistens bekifft und chronisch klamm. Man muss ihn mögen. Die anderen drei tun das auch. Legen ihm Geld aus, holen ihn aus dem Krankenhaus, wenn er sein altes Auto mal wieder zu Schrott gefahren hat. Mehr können sie nicht tun. Das, was im Sudan auf ihn wartet, ist denkbar ungeeignet, um seinem Drifterdasein Halt zu geben.

Einem Film über Jungsfreundschaft ist eigentlich egal, was die Jungs zusammenschweißt. In diesem Fall ist es eben der Krieg. Oosterbroek wird ihn nicht überleben. Auch Marinovich kommt nicht heil aus der Sache heraus. Später schreibt er mit João Silva ein Buch über ihre „snapshots from a hidden war“, das Steven Silver als Blaupause dient. Aber am Ende von „The Bang Bang Club“ begreift man, warum es nur wenige gute Kinofilme über Kriegsfotografen gibt. Carter, Marinovich und Co. taugen nicht als heroische Figuren. Denn sie haben in dem Sterben und Morden keine Chance, besser zu sein. Sie schauen zu und verdrängen. Auch wenn sie viel näher dran sind. 2010 verlor João Silva beide Unterschenkel, als er in Afghanistan auf eine Landmine trat.

Kino in der Kulturbrauerei, Cinestar Sony-Center (OV), Hackesche Höfe (OmU)

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