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Kultur: Zweifach finstere Zeiten

Wolf Biermann singt von Brecht und Becher - und von sich selbstVON CHRISTINA TILMANNBrecht? Tot.

Wolf Biermann singt von Brecht und Becher - und von sich selbstVON CHRISTINA TILMANNBrecht? Tot.Endgültig totgefeiert zu Anlaß seines 100.Geburtstags von einer Schar eifriger Feuilletonisten, Regisseure, Autoren und Verleger.Wenn heute noch einmal über ihn gesprochen, geschrieben werden soll, dann deshalb, weil ihn in der Akademie der Künste jemand ehrte, für den die Toten des "Hugenottenfriedhofs" näher, lebendiger sind als manche Lebende.Und der sich als Nachzügler zum Erben Brechts designiert fühlt: Als Nachgeborener. Wenn Wolf Biermann in der Akademie der Künste seinen Brecht-Abend vorstellt, dann ist das weniger ein Brecht-Abend als ein Biermann-Abend.Aber dafür ein Rückblick auf ein Leben mit Brecht.Freilich: Die finsteren Zeiten, von denen Biermann spricht, sind andere als die Brechts.Aber sie sind finster genug, um ein Leben zu verbittern.Und diese Bitterkeit bricht sich am Freitag abend in der Akademie noch einmal - spät, und schon längst reflektiert, aber nicht minder heftig - Bahn.In Biermanns Adresse wird die Akademie, die wiedervereinigte Akademie, noch einmal zum verminten Gelände, in dem er Freunde, aber auch alte "Hofschranzen" sieht.Und deshalb klingt Biermanns Stimme noch eine Spur rauher, sein Gitarrenanschlag noch etwas aggressiver als gewohnt.Der Dichter, der selbst nicht Mitglied der Akademie der Künste ist, wirkt angespannt: "Wie kann man gelassen auf diesem Podium sitzen?". "Man muß ihn nur richtig mißverstehen, dann ist er topaktuell" behauptet Biermann über seine Brecht-Lektüre.Dann ist das "Lied, im Gefängnis zu singen" von 1931 plötzlich ein Kommentar zur DDR-Überwachung, dann gilt die Anklage "Gegen die Objektiven" von 1933 den Mitläufern in Ost und West.Daß Brecht in den dreißiger Jahren überzeugter Kommunist war und als solcher dichtete, ist ihm nach Biermann wohl bekommen.Daß er es blieb nach der Gründung der DDR, wirft er ihm vor, kann es noch heute nicht verstehen trotz halbherziger Versuche, auch den späten Brecht noch als Dissidenten zu kennzeichnen."Wenn er uns den Sprung vorgemacht hätte, wir, die Nachgeborenen hätten nicht so lange gebraucht, bis wir uns gelöst hätten." So war es erst lange nach der Ausbürgerung von 1976, daß Biermann zu der in dem Gedicht "Die Mutter Erde geht schwanger" bitter und provokant vorgetragenen Erkenntnis kam, daß der Kommunismus gestorben, verbraucht, der Glaube daran nur noch Kinderglaube ist. Ein "Kinderlied für große Kinder" ist es dann, mit dem der Abend schließt: Brechts "Kinderhymne" von 1950, die Biermann sich nach der Vereinigung als Nationalhymne gewünscht hätte.Und nicht nur wegen des Textes: Mehr noch als an Brecht ist der Biermann-Abend eine Hommage an den Komponisten Hanns Eisler.Einmal, weil Eislers zweite Ehefrau Steffi mit im Publikum sitzt und von Biermann freundschaftlich-vertraut begrüßt wird. Aber auch sonst: Der Komponist Eisler ist dem Liedermacher Biermann vielleicht noch näher als Brecht dem Dichter.Und wenn Biermann im "Lied für einen Genossen, der an die Wand gestellt wurde" unter der politischen Agitation die Akkordfolgen aus Bachs Matthäuspassion hervorhebt, die den ungeheuerlichen Vorgang eines ideologischen Mordes ins Tragische wenden, wenn er in der späten "Kinderhymne" die aufsteigenden Tonreihen von Bechers DDR-Hymne erkennt, dann wird deutlich, warum die feine Doppelsinnigkeit Eislers Vorbild war: Für laute und für leise Dichter.

CHRISTINA TILMANN

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