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Kultur: Zwischen die Rippchen

An der Berliner Staatsoper ergibt sich Stefan Herheim Verdis „Macht des Schicksals“

Erst wird kurz vor der Premiere der Tenor ausgetauscht, dann entfällt die Fotoprobe für die Neuinszenierung von Verdis „Macht des Schicksals“ an der Staatsoper Unter den Linden. Schließlich wird nach der Generalprobe auch noch die „Zauberflöte“ am folgenden Tag abgesetzt, 1000 Kartenbesitzer müssen nach Hause geschickt werden. Von der „technischen Komplexität“, die als Grund für zusätzlich benötigte Probezeit genannt worden war, ist am Samstag jedenfalls nichts zu sehen.

Im Vergleich mit anderen Produktionen des Hauses nimmt sich Thomas Schusters Bühnenbild recht schlicht aus: Es gibt einen schwarzen Prospekt, in dessen Mitte schräg angebrachte Vorhänge ein Himmelbett vortäuschen, und es gibt die weite Spielfläche mit der Fassade der Lindenoper im Hintergrund. Zwischen diesen Polen, der Ruhestätte für sentimentale Träume und dem öffentlichen Straßenland, lässt Regisseur Stefan Herheim die Geschichte von Leonora di Vargas spielen, die einen Indianer liebt. Der tötet aus Versehen ihren Vater, worauf der Bruder Blutrache schwört. Eine Treibjagd beginnt, bei der sich alle Beteiligten immer wieder aus den Augen verlieren, bis es zum Showdown kommt: Der Geliebte ersticht den Bruder, der seinerseits der Schwester ein Schwert ins Herz rammt.

Eine Räuberpistole ist das, und Giuseppe Verdi hätte den Roman von Angelo Perez de Saavedra keines Blickes gewürdigt, böte der Stoff nicht diese Kette von emotionalen Extremsituationen, an denen sich die Fantasie jedes Opernkomponisten sofort entflammt. Leider hat Michael Gielen überhaupt keinen Spaß an lodernden Orchesterfeuern. Die Art, wie er die Effektdramaturgie des melodramma unterspielt, nimmt der „Macht des Schicksals“ die Überzeugungskraft. Natürlich kann die Staatskapelle Gielens Gedanken folgen, glasklar und sachlich spielen. Doch da, wo der Maestro ein wenig die Zügel lockert, wird klar, was für einen berückenden Sound diese Musiker hätten zaubern können, wenn der Kopfarbeiter Gielen ein wenig mehr Vertrauen zum Bauchmenschen Verdi hätte. So aber steht dieser Abend paradigmatisch für einen aktuellen Theatertrend: Während im Schauspiel kaum noch ein Regisseur ohne Gesangseinlagen auskommen mag, findet in der Oper immer weniger Musik statt. Das Gesamtkunstwerk gerät aus dem Gleichgewicht, weil alles von der Bilderflut der Inszenierung überwölbt wird. Mancher mag das in optisch dominierten Zeiten konsequent finden; und wird die Oper nicht von den meisten ihrer Fans ja gerade als Enklave der Mediengesellschaft geschätzt, als ein Rückzugsort, an dem andere Gesetze der Geschwindigkeit gelten und Identifikation mit Schicksalsgestalten gestattet ist.

Der Assoziationswust, mit dem der junge norwegische Regisseur dem Stück Herr zu werden versuchte, löst darum bei vielen im Saal Wut aus. Vater und Geliebter, glaubt Stefan Herheim, ersticken Leonoras Liebestraum gleichermaßen mit ihrem Machtanspruch. Ebenso sieht er die lebenslustige Preziosilla als Blaupause der engelhaften Protagonistin. Also tragen die Frauen rote Perücken, die Männer Mönchskutten, im Finale entjungfert der Vater seine Tochter, bevor die Erstochene mit dem Tenor Hand in Hand einer Pegasus-Skulptur zustrebt. Auch als Stofftier taucht dieses Symbol junger Jungmädchenblüte auf, während der Chor mit Plüsch-Eseln ausgestattet ist. Ja, die wenigsten von uns sind bereit, ihre Träume zu leben – es sei denn, sie flanieren beim Theater auf dem Theater des dritten Aktes vor der Pappmaché-Staatsoper, eine Mezzosopranistin taucht auf, um ihnen militärische Parolen ins Gehirn zu hämmern: Da werden Weiber zu Hyänen und die Sängerin wird massakriert. Diese „Rataplan“-Szene, hinreißend präzise gesungen vom Staatsopernchor, lässt Herheim mit einem kannibalischen Ausraster enden, zur Tarantella reißen sich Kinder die Klamotten von den Leibern, auf die in großen Buchstaben „Kriegskunst“ und, rückseitig, „Kunst- Krieg“ gepinselt sind.

Abgesehen von Frank Porretta (Alvaro), dessen extrem laute Töne weit entfernt sind von dem, was man unter belcanto versteht, kann die Staatsoper eine beeindruckende Solistenriege aufbieten, Interpreten, die bei diesem wüsten Brainstorming-Abend nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdienten. Der wunderbare Buffo Bruno di Simone als Melitone ebenso wenig wie Norma Fantinis Leonora mit ihren zarten Pianissimi. Am besten setzen sich noch Anthony Michael-Moores Heldenbariton (Carlo) und Ekaterina Semenchuks vokales Powerplay (Preziosilla) durch.

Was bleibt von diesem Abend? Ein Skandal; sonst nichts.

Wieder am 28. September sowie am 2., 5., 9. und 14. Oktober.

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