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Kultur: Zwischen Holocaust und Möbiusschleife

Liegt die Zukunft der Architektur im "Urbanen Spektakel"? In dem besonderen Bau, der sich aus der Masse heraushebt?

Liegt die Zukunft der Architektur im "Urbanen Spektakel"? In dem besonderen Bau, der sich aus der Masse heraushebt? Oder sollte die ganze Stadt ein Spektakel sein - wie Berlin es möglicherweise ist? Darum ging es bei einer Debatte im New Yorker Museum of Modern Art (MoMA), zu der internationale Architekturgrößen wie Zaha Hadid (London), Peter Eisenman (New York), Daniel Libeskind (Berlin) und Christian de Portzamparc (Paris) geladen waren.Zaha Hadid jedenfalls plädierte eingangs für das Spektakel."Ich will die Stadt durch ein einzelnes Gebäude neu erfinden", sagte sie.Spektakuläre Gebäude hatten alle Architekten genug vorzuweisen: de Portzamparc ein in sich gefaltetes milchgrünes Hochhaus in Manhattan und Libeskind die - vergrößerte - Nachbildung einer DNA als Annex des Victoria-und Albert-Museums in London.Rem Koolhaas, ebenfalls auf dem Podium, zeigte sein Haus für die Anthroposophen in Berlin, das einer "Möbiusschleife" ähneln soll, einer gedrehten mathematischen Figur.Auch die Hochhäuser des japanischen Architekten Toyo Ito, für die senkrecht schwimmender Seetang das Vorbild gewesen sein soll, dürften als spektakulär durchgehen.

Aber wie besonders darf das Gebäude sein? "Wer die Regeln bricht, darf nicht bauen", sagte Libeskind, der in der Debatte dann allerdings einräumte, daß sein regelwidriger Anbau an das viktorianische Naturkunde-Museum die Zustimmung gerade der konservativen Museumsleute gefunden habe und ja nun auch verwirklicht werde.Ähnliche Erfahrungen hat auch Peter Eisenman gemacht - und zwar in Frankfurt am Main, wo er Juror für ein "Urban Entertainment Center" war, eine jener Multiplexkino-Themenrestaurant-Megastore-Touristenfallen, die gerade in allen Hauptstädten der Welt in Mode sind.Er habe für den "schrägsten Entwurf" votiert, habe aber geglaubt, dieser habe wenig Chancen.Zu seiner Überraschung habe dann die - eher konservativ besetzte - Jury fast einstimmig für genau diesen spektakulären Entwurf gestimmt."Ich stehe auf einem schmalen Grad zwischen Themenpark und Architektur", sagte Eisenman selbstkritisch - die Bemerkung bezog sich allerdings auf ein Sportstadium in Arizona, das er mehr für seine Wirkung im Fernsehen habe gestalten müssen als für die realen Zuschauer und schon gar nicht auf sein geplantes Holocaust-Memorial in Berlin.

Wie spektakulär ein Gebäude sein dürfe, habe auch damit zu tun, ob der Bauherr ein privater sei oder die öffentliche Hand, bemerkte Bernard Tschumi, Dekan der Architekturabteilung der New Yorker Columbia-University: Bei einem öffentlichen Gebäude sei der Architekt freier, theoretisch, bei einem privaten Bauherr habe er jedoch oft in der Praxis mehr Spielraum.Und für wen ist das Spektakel gedacht? Nicht für die Bildungseliten, war sich das Podium einig.Zaha Hadid, die ihr "Center of Contemporary Arts" in Cincinnati vorstellte, das, aus Metall und Glas, einem Schiffsbug gleich durch die Stadt pflügt, will "Architektur für die Massen" entwerfen.Und Libeskinds Museums-Neubau mit seiner sich um sich selbst gedrehten halbrunden Struktur soll Schulkinder anlocken, die sonst eher zum Fußballspielen gehen."Wenn die sagen, mein Gebäude kommt vom Mars, das fände ich gut."

Aber kann die Stadt selber das "Urbane Spektakel" sein? Berlin hatte diese Rolle, so sieht es Rem Koolhaas, allerdings nur das Berlin vor der Öffnung der Mauer, Ost wie West.Seit die Mauer gefallen sei, erlebe Berlin eine "Krise des Spektakels", sagte Koolhaas, der auch beklagte, daß die Mauer in Berliner Stadtplänen nicht mehr eingezeichnet sei.Das neue Berlin hingegen sei so steril wie Shanghai, lauter gleichförmige Blöcke.Koolhaas sah einigermaßen indigniert drein, als ihn der Wiener Architekt Raimund Abraham darauf hinwies, daß an dem Spektakel der Mauer richtige Menschen gestorben seien."Mit diesen Maßstäben könnte man auch den Holocaust zum Spektakel erklären", sagte Abraham.Für ihn besteht das urbane Spektakel in Berlin darin, daß "die Häuser am Potsdamer Platz genauso aussehen wie die Computersimulationen".Übrigens sieht auch die Koolhaassche Möbiusschleife mehr oder weniger so aus wie die Libeskindsche DNA, es gibt also auch eine Gleichheit des Spektakulären.Die Debatte war zuende, als ein - sichtlich angeheiterter - Architekturkritiker dazu aufrief, den Saal zu verlassen, um das neueste Bauwerk von Raimund Abraham zu besichtigen - ein Wolkenkratzer mit schräggestellten Wänden ein paar Blocks weiter.

EVA SCHWEITZER

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