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Kultur: Zwischenweltenbummler

Das andere Serbien: Die Filme des Balkanfestivals „Zajedno“ überraschen durch Ironie

Von Caroline Fetscher

Eines schönen Tages erscheint ein geheimnisvoller Mann mit Koffer im Büro des Druckereibesitzers in Belgrad. Manuskripte habe er anzubieten, raunt er, seltene. Ja, schon gebundene Bücher. Unveröffentlicht. Der Druckereibesitzer reagiert misstrauisch. Kommen nicht oft irgendwelche Leute und bieten ihr krauses Zeug an? Wer der Autor sei, fragt er also. Der Autor? Sein Gegenüber lächelt sardonisch. „Der Autor sind Sie!“ „Ich?“

Was sich nun entfaltet, das erzählt der serbische Regisseur Dusan Kovacevic in einer tragikomischen Melange aus Action und Slapstick, aus Rückblende und Gegenwart. Jener „Profesionalac“ (Der Profi) mit dem Koffer outet sich als ein Ex-Geheimdienstler, zu dessen Aufgaben es unter dem Regime Milosevic in Serbien gehört, eben jenen „unbequemen“ Verleger zu observieren, den er gerade aufsucht. Er will abrechnen, mit diesem – und mit sich. All die Bücher entstanden aus abgehörten Gesprächen, aus Beobachtungsberichten und heimlichen Verfolgungen, sie ergeben eine genauere Biografie der Verlegers, als dieser selbst sie im Sinn haben kann.

Der Dramatiker Kovacevic, berühmt geworden mit seiner 1971 verfilmten Gesellschaftssatire „Maratonci trce pocasni krug“ („Die Marathonläufer drehen eine Ehrenrunde“), sorgt mit „Profesionalac“ für eines der Highlights der serbischmontenegrinischen Kulturtage. Seit 2. September läuft das Festival unter dem Titel „Zajedno“ (Gemeinsam) in Berlin und anderen deutschen Städten, unter Schirmherrschaft des Auswärtigen Amtes in Zusammenarbeit mit dem Belgrader Kulturministerium. Geplant wurden die Festtage noch unter Zoran Djindjic, dem im März 2003 erschossenen demokratischen Premier Serbiens. In den Filmen nun entdeckt man das andere Serbien: ein selbstreflektiertes, humorvolles, avantgardistisches Land.

In „Mali Svet“ (Kleine Welt), einem postmodernen Roadmovie, lässt Regisseur Milos Radovic seine Figuren mit Irrwitz und Aberwitz aufeinander prallen: eine Unfallserie. Während sich scheinbar unzusammenhängende Szenarien parallel entfalten, gleiten sie nach und nach ineinander. Im späten Sommer, irgendwo in Serbien, rasen ein vermeintlich todkranker Arzt, zwei tölpelhafte Polizisten und ein verdächtiger Konditor auf der Straße der Zeitgenossenschaft ihrer Zukunft entgegen. Ihr Leben ist aus der Bahn geraten, als sie sich auf der Autobahn finden und verlieren, nach einem Gewitter, einem Einbruch und einer Festnahme, einigen Ehebrüchen und Kollisionen. Irgendwann sitzt der ungeborene Sohn des Arztes auf dem Rücksitz seines Wagens, spielt mit einem Gameboy und erklärt, er sei das Kind, das der Vater nicht zu haben gewagt hat. Kontingenz und Collage, Karambolage und (Alp-)traum, Unfälle und Sündenfälle: Mutig arbeitet Radovic mit allen Registern des Hollywoodkinos gegen eben dieses an. Mit postsozialistischer Selbstironie, wie bei Kovacevic. Eine kluge Selbstironie zumal, etwa wenn sie den Warenfetischismus angesichts von Westprodukten – „Siemens!“, „Motorola!“ lauten die begeisterten Ausrufe beim Anblick von Mobiltelefonen – illustriert und karikiert.

Bemerkenswert auch der semidokumentarische Film „The Rubber Soul Project“ von Dinko Tucakovic, der eine Gruppe dadaistisch anmutender Künstler bei dem Versuch zeigt, ihre Lieblingssongs der Beatles zu Katalysatoren von Witz und Unruhe stiftenden Agenten umzuwidmen. Im Tonstudio und auf der Straße wollen sie die Verhältnisse auf den Kopf stellen oder entlarven, wenn auch mitunter allzu plakativ. Comic-Szenen und öffentliche Blödeleien wechseln mit reflektierenden Interviews. Und ein lächerliches, nationalistisches Regime, sieht sich mit der Weltsprache Englisch und deren Popdiskurs konfrontiert.

Mit Boris Mitics „Pretty Dyana“ findet sich auf dem Festival auch eine Sozialreportage: Roma-Jugendliche schrauben in den Slums am Stadtrand von Belgrad aus Teilen verschrotteter Autos – wann wandert in Serbien schon mal ein Auto zum Schrott! – eigene, skurrile Wagen zusammen. Als urbane Safarifahrer thronen sie auf ihren Kreationen, auf deren Ladefläche sie weitere Fundstücke aus dem Müll sammeln. So gibt das Recycling des Recycling ein Bild davon ab, wie ein verarmter Nachkriegsstaat die Bürger am Saum des Sozialen sich selbst überlässt. In einem Serbisch, das von Schule nichts zu wissen scheint, erklärt einer der Teenager-Chauffeure: „Unter Tito ging es uns besser.“ Lakonisch hält er ein Farbfoto des verblichenen Landesvaters in die Kamera.

„Zajedno“ bietet Entdeckungsfahrten in eine Zwischenwelt, eine Gesellschaft im Übergang, die nicht mehr sozialistisch und noch nicht vollends demokratisch ist. Von ihrer Ideenfülle kann auch der so genannte Westen lernen.

In Berlin sind die Filme ab 9. September im Kino Hackesche Höfe zu sehen. Informationen: www.zajedno–gemeinsam.de

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