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Brandenburg: Leiche im Wald – ein Mord aus Rache?

PKK soll junge Kurdin umgebracht haben

Buckow/Potsdam - Die Pilzsammler dachten, sie hätten den Schädel eines Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden. Doch was sie damals im Herbst 1997 im Wald bei Buckow in den Händen hielten, war der Schädelknochen einer jungen Kurdin aus Berlin. Leyla Turan wurde 16 Jahre alt; Ermittler halten es für möglich, dass sie Opfer eines Bürgerkrieges geworden ist, der bis nach Deutschland reicht – der Auseinandersetzungen zwischen der Kurdischen Arbeiterpartei PKK und dem türkischen Staat.

Mit 14 Jahren kam Leyla Turan 1995 mit ihren Eltern aus der Türkei nach Berlin. Sie kommt mit dem Spagat zwischen Tradition und westlicher Lebensweise nicht klar, landet immer wieder beim Jugendamt und in Hilfseinrichtungen. Am 7. Mai 1995 nimmt sie an Demonstrationen für die Kurdische Arbeiterpartei in Berlin teil und schwingt die Fahne der verbotenen Europaorganisation der Nationalen Befreiungsfront Kurdistans (ERNK). Sie wird mehrfach von der Polizei verhört, fängt an, mit ihrem Wissen über die kurdischen Clan- und die PKK-Strukturen in Berlin zu prahlen. Schließlich wird Leyla Turan Kronzeugin der Generalbundesanwaltschaft gegen den Berliner Gebietsleiter der PKK, Ihsan E. Sie bekommt Personenschutz. Ihre letzte Vernehmung findet am 27. September 1995 statt. Zwei Tage danach stellt der Bundesgerichtshof einen Haftbefehl gegen Ihsan E. aus. Am 6. Oktober 1995 wird er in Berlin verhaftet, der Vorwurf lautet auf Mitgliedschaft in einer „terroristischen Vereinigung innerhalb der PKK“. E. soll Aktionen in der Region gesteuert und Anweisungen der kurdischen „Europäischen Frontzentrale“ ausgeführt haben. Vor allem soll er jugendliche Mitglieder der Union der patriotischen Jugend Kurdistans (YCK) gedrängt haben, Straftaten zu begehen. „So veranlasste er die Jugendlichen, Molotowcocktails herzustellen, die dann auf seinen Befehl bei einem Polizeieinsatz am 27. Juli 1995 gegen Polizeibeamte geschleudert wurden“, so die Bundesanwälte. Ihsan E. habe einen Decknamen getragen und sich den Weisungen der PKK-Führung entsprechend unter wechselnden Adressen in Berlin aufgehalten. Die Ermittler waren ihm lange auf der Spur gewesen. Leyla Turan brachte den entscheidenden Hinweis.

Das Bundeskriminalamt versteckte Leyla eine Zeit lang an wechselnden Orten in Deutschland. Doch sie bricht immer wieder aus, nimmt unerlaubt Kontakt zu alten Bekannten auf. Schließlich türmt das lebenslustige, oft aufbrausende Mädchen aus einem Kinder- und Jugendheim in der Nähe von Kiel. Am 25. Oktober 1995 wird sie das letzte Mal in Berlin gesehen: Sie erscheint bei ihrem Betreuer im Jugendamt Berlin-Neukölln. Der bittet sie, kurz auf dem Flur zu warten. Minuten später ist sie weg.

Als die Pilzsammler im September 1997 ihre skelettierte Leiche im Wald fanden, wurde wenigstens klar, dass Leyla Turan ermordet wurde. Doch bis heute wissen die Ermittler des Landeskriminalamts (LKA) Brandenburg nicht, wann und wo sie starb – noch wer sie umbrachte und warum. Jetzt wenden sich die Ermittler an die Öffentlichkeit: Am kommenden Donnerstag wird der Fall in der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY“ vorgestellt.

Dabei war die Vermutung, Leyla Turan könnte einem Fememord der PKK zum Opfer gefallen sein, nur eine Richtung, in der das LKA ermittelt hat. So gab es auch einen Berliner Sexualstarftäter, der Prostituierte immer genau in dem Waldstück vergewaltigte, in dem Leyla Turan gefunden wurde. Und das Mädchen ist angeblich kurz vor ihrem Verschwinden auch im Rotlichtmilieu am Bahnhof Zoo gesehen worden. Doch erhärten ließ sich in dieser Hinsicht bislang nichts.

Auch gegen einen Berliner Polizisten wurde intern ermittelt – Kurden und Kriminelle hatten behauptet, Leyla Turan sei von ihm schwanger gewesen. Allerdings war der Leichnam der jungen Kurdin in einem so schlechten Zustand, dass eine Schwangerschaft nicht nachgewiesen werden konnte. Auch diese mögliche Spur verlief im Sande.

So bleiben die eindeutigen Rachegelüste in der militanten Berliner Kurdenszene noch die stärksten Hinweise. Ergänzt durch einen weiteren, wenn auch vagen: Das LKA hatte Leyla Turan zeitweise den türkischstämmigen Personenschützer Memet Ö. an die Seite gestellt. Im Sommer 1997 wurde dieser nach Informationen dieser Zeitung von Unbekannten mit einem Wagen angefahren und schwer verletzt. Die Ermittler vermuten einen Racheakt der PKK.

Um Hinweise auf Leyla Turan und ihre Aufenthaltsorte nach Oktober 1995 bittet das LKA Brandenburg unter der Telefonnummer 03334/388-0

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