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Brandenburg: Manfred Stolpe: Er ist wieder da - aber wie lange bleibt er?

Manchmal geht märkische Politik seltsame Wege. Bevor das Signal zum großen Zapfenstreich der Bundeswehr am Neuen Palais ertönt, ziehen sich zwei dunkel gekleidete Herren, beide Mitte 60, in die stille Dunkelheit des Schlossparks Sanssouci zurück.

Manchmal geht märkische Politik seltsame Wege. Bevor das Signal zum großen Zapfenstreich der Bundeswehr am Neuen Palais ertönt, ziehen sich zwei dunkel gekleidete Herren, beide Mitte 60, in die stille Dunkelheit des Schlossparks Sanssouci zurück. Manfred Stolpe und Jörg Schönbohm brauchen nicht viel Worte, um sich auf die neue Kulturministerin Johanna Wanka zu verständigen. Schönbohm verrät später, dass Stolpe die Merseburger Rektorin empfohlen habe. "In diesem Moment hatten wir beide ein starkes brandenburgisches Gefühl."

Die Episode offenbart einiges über den Regierungsstil Manfred Stolpes, für den Diskretion, Verlässlichkeit, Loyalität unumstößliche Prinzipien sind. Auch in der großen Koalition, auch wenn es um ein christdemokratisches Ressort geht. Regierungsformen sind für ihn ohnehin sekundär. Auch wenn er gefragt worden wäre, hätte der 64-Jährige nicht über seinen Anteil am CDU-Headhunting gesprochen, schon um Schönbohm nicht vor den eigenen Parteifreunden bloßzustellen. So regiert Manfred Stolpe nun bereits zehn Jahre. Er erlebte Höhen und Tiefen, überstand selbst die zweijährigen Dauerattacken wegen seiner nie ganz geklärten Stasi-Verwicklungen, an denen schließlich die Ampel-Koalition zerbrach. Als ihn die Brandenburger 1994 trotzdem oder gerade deshalb zum Alleinherrscher machten, galt er als unbesiegbar.

Damit war es am Abend des 5. September 1999 vorbei. Die SPD, ganz auf Stolpe fixiert, verlor bei den Landtagswahlen 15 Prozent - und stürzte in die Krise. Stolpes engste Weggefährtin Regine Hildebrandt ging von Bord, weil der Regierungschef die CDU ins Regierungsboot holte. Der Ministerpräsident selbst verschwand, kaum dass die große Koalition ihre Arbeit aufgenommen hatte, von der Bühne. Monatelang war er kaum wahrzunehmen, derweil Schönbohm und die anderen CDU-Minister die Ärmel hochkrempelten und Punkte sammelten. Selbst das Grollen der Genossen, die ihren Vormann schon "am Zügel Schönbohms" sahen, konnte Stolpe nicht hervorlocken. Der "Spiegel", dem einstigen Kirchendiplomaten in treuer Feindschaft verbunden, höhnte, der "IM Sekretär" habe jetzt einen neuen Führungsoffizier: den Ex-General Schönbohm.

Brauchte Stolpe Zeit, um die Niederlage zu verkraften? Oder steckte eine Strategie dahinter? "Er denkt immer fünf Züge voraus", kommentieren Getreue. Sie sind überzeugt, dass Stolpe dem vom Wahlerfolg euphorisierten und angetriebenen Schönbohm die politische Bühne bewusst überließ, wohl wissend, dass er bald "die Mühen der Ebene" erreichen werde. Stolpe hat bislang dazu geschwiegen. Fragt man ihn jetzt danach, antwortet er aufgeräumt: "Die Koalition braucht keinen Schönheitswettbewerb." Schönbohms Aktivitäten hätten ihn, anders als die Partei, nicht nervös gemacht. "Das Land braucht einen langen Atem."

Im Frühjahr 2000 ist der Regierungschef plötzlich wieder präsent, im Land und in den Medien. Wo er auch auftritt, wirkt er locker, aufgeräumt, souverän. Und er zeigt, dass er das Steuer fest in der Hand hat: Er macht Matthias Platzeck zum neuen Parteichef. Damit ist allen klar, dass die Nachfolge entschieden ist. Er ringt Schönbohm die Zustimmung zum Steuerpaket der Bundesregierung ab - rettet so die große Koalition. Und er erregt mit dem für einen Politiker ungewöhnlichen Geständnis Aufsehen, den Rechtsextremismus in seinen ersten Regierungsjahren verharmlost zu haben. Die Stimmung in der Partei bessert sich. Nicht nur deshalb, weil Stolpe "wieder da" ist, sondern weil der CDU nach ihrem erfolgreichen Schnellstart das Triumphieren genau so schnell vergeht: Der umstrittene Kulturminister Wolfgang Hackel wirft wegen des Streits um seine Firmen das Handtuch, Innenminister Schönbohm muss sich wegen der Polizeireform von 2000 Polizisten auspfeifen lassen, die Richter des Landes empören sich über Justizminister Schelter wegen eines Eingriffs in die Unabhängigkeit der Gerichte.

Und Stolpe? Der "Häuptling der Streusandbüchse", wie er sich selbst einmal nannte, schwebt über den großen und kleinen Gewittern, die ihm nichts anhaben können. In der Beliebtheitsskala steht er, zehn Jahre nach Amtsantritt, ganz oben - unerreichbar für Schönbohm, von anderen erst gar nicht zu reden. Er sieht sich als Ruhepol brandenburgischer Politik: Nach innen, weil es in der Koalition immer wieder flackert, nach außen, weil "es Verlässlichkeit geben muss". Welche Verlässlichkeit? "Der alte Stolpe passt schon auf." Fest steht, dass es auch mit seinem eher defensiven, moderierenden, überparteilichen Regierungsstil zu tun haben muss, wenngleich dieser ihm bisweilen den Vorwurf der Führungs- und Entscheidungsschwäche eingebracht hat.

"Stolpe ist beharrlich, er weiß genau was er will", behauptet Regierungssprecher Erhard Thomas. "Er gibt nie Anweisungen, nie Befehle", sagen Mitarbeiter. Die Minister haben sich daran gewöhnt: "Er fragt, bittet, äußert einen Wunsch: Könnte sich da mal jemand kümmern?" Dass Stolpe in Frageform regiert, unterscheidet ihn von anderen Ministerpräsidenten: Zum Beispiel von "König Kurt" in Sachsen, der befiehlt, der Macht zelebriert, der anders als der Preuße Stolpe auch auf ihre äußeren Symbole Wert legt. Einer, der beide kennt, hat beobachtet: "Wenn Biedenkopf einen Raum betritt, geht eine Welle voraus, Stolpe bemerkt keiner." Ein Fall von indirekter Autorität.

Im Kabinett hat Stolpe diese zu höchster Perfektion entwickelt, was selbst die neuen CDU-Minister zu Lobeshymnen veranlasst: "Er moderiert exzellent, kommt am Schluss aber immer auf den Punkt." Stolpe verzichtet auf Berater, Vertraute, bewahrt immer eine gewisse Distanz. Selbst Ex-Sozialministerin Regine Hildebrandt kann sich nicht erinnern, dass der Regierungschef sie jemals um Ratschläge gebeten habe. "Er stellte nur seine berühmten Testfragen." So nimmt er Informationen, Stimmungen, Zwischentöne auf, speichert sie in seinem "Elefantengedächtnis" (ein Mitarbeiter der Staatskanzlei), um daraus zu gegebener Zeit Schlüsse zu ziehen. Stolpe ist nicht der Mann schneller Entscheidungen, auch nicht der kühle Stratege, der fertige Pläne in der Schublade hat. Eher ein Instinktpolitiker mit einem besonderen Drang zum Detailwissen.

An seinem System hat sich bis heute nichts geändert, obwohl Stolpe schon früh erfahren musste, dass es an Grenzen stößt, dass es anfällig für Fehler ist: Wichtige Ziele wie den Bau des Großflughafens in Sperenberg, die Senkung der Arbeitslosigkeit unter die Zehn-Prozent-Marke oder die Fusion mit Berlin konnte er nicht durchsetzen.

Das ist Vergangenheit. "Viel trauriger ist, dass von Stolpe heute keine politischen Impulse, keine Ideen mehr kommen", urteilt PDS-Fraktionschef Lothar Bisky. Ein Oppositionsführer muss das sagen. Aber selbst Sozialdemokraten bestätigen: "Da ist Wahres dran." Stolpe sei ein Routinier, der von seiner Aura zehre, beschreibt ein SPD-Landesvorstandsmitglied die märkische Götterdämmerung.

Insider registrieren, dass Stolpe Dinge schleifen lasse, dass sein Gespür für aufkeimende Gefahren und Konflikte nachlasse. "Die Pannen häufen sich." Den Streit mit der Staatskanzlei um die Firmenbeteiligungen des Ex-Ministers Hackel etwa überließ Stolpe monatelang dem Selbstlauf - bis er plötzlich die Schlagzeilen beherrschte. Auch bei Abstimmungen klappt es nicht: So gab Stolpe jüngst vorschnell grünes Licht für die Bundesratsinitiative des Justizministers zur Verschärfung des Strafrechts - und brachte so die Fraktion gegen sich auf. Er nahm es auch hin, dass die Volksinitiative gegen die Kita-Kürzungen mit 152 000 Unterschriften abgeschmettert wurde - was nun durch die Klage vor dem Verfassungsgericht für die Koalition und ihn zum Bumerang zu werden droht. Ein Insider: "Das Frühwarnsystem hat versagt. Das gab es früher nicht."

Stolpe spürt, dass das Regieren schwieriger geworden ist, dass oft schnelle Reaktionen nötig sind, es mit Instinkt allein nicht mehr getan ist. Und er versucht, sich darauf einzustellen. Man merkt es auch an Kleinigkeiten: Seit acht Wochen trägt der altmodische Technik-Muffel ständig ein Handy mit sich herum. "Es geht manchmal um Meter und Sekunden." Weiß er, dass er sich grobe Fehler nicht mehr leisten kann, weil der Schwelbrand um seine Ablösung dann offen ausbrechen würde? Darüber wird innerhalb der SPD diskutiert, nicht über den Termin der Fusion mit Berlin. Stolpe muss, was ihn nervt, in jedem Interview die gleiche Frage beantworten: "Wann treten Sie ab?" Als Finanzministerin Wilma Simon, ehe sie das Kabinett verließ, sich laut für eine Machtübergabe an Matthias Platzeck noch vor der nächsten Landtagswahl aussprach, reagierte der Regierungschef nach außen gelassen, nach innen besorgt: "Man muss aufpassen, dass das Thema nicht überbordet." Aber wie? Einer Boulevard-Zeitung, der "BZ", sagte er dieser Tage ganz locker, wenn seine Partei es so wolle, werde er auch 2004 noch einmal antreten. Die Schlagzeile: Stolpe: Ich bin bereit, noch mal Ministerpäsident zu werden. Prompt überschlugen sich die aufgeregten Reaktionen.

Klebt Stolpe wirklich an der Macht, muss der Kronprinz erst zum Königsmörder werden? Matthias Platzeck lächelt fröhlich. Und Stolpe stellt in seinem Amtszimmer eine Gegenfrage: "Glauben Sie wirklich, dass ich an meinem Stuhl klebe, dass man mich hier raustragen muss?"

Stolpe erzählt von seinem Freund Johannes Rau, der nicht weichen wollte, obwohl Clement in den Startlöchern stand. So will Manfred Stolpe nicht gehen - und er kann trotzdem nicht Klartext reden: Würde er jetzt ein Datum nennen, egal ob 2003, 2004 oder 2006, wäre er schon kein ernstzunehmender Regierungschef und Verhandlungspartner mehr. Man würde "das Bandmaß anlegen". Weil das niemand begreifen will, legt er falsche Fährten - und merkt zu spät, dass er die Spekulationen nur noch anheizt. Dabei ist für Manfred Stolpe alles ganz einfach: "Ein älterer Politiker sollte einen talentierten Jüngeren nicht behindern." Das kann nur heißen: Er wird seinen Platz nicht nach, sondern vor 2004 räumen.

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