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© Thilo Rückeis

Matthias Platzeck: "In Brandenburg regiert nicht die Stasi"

Ministerpräsident Matthias Platzeck gesteht im Interview mit dem Tagesspiegel Fehler ein, fühlt sich von der Linkspartei nicht hintergangen – und schließt weitere Enthüllungen nicht aus.

Sie wollten eine Koalition mit der Linken, um die innere Einheit des Landes zu stärken angesichts wachsender sozialer Probleme. Die jetzige Polarisierung ist genau das Gegenteil.

Wir haben keine Liebesheirat, sondern eine Koalition auf der Grundlage einer großen programmatischen Übereinstimmung. Die wichtigste Aufgabe für uns ist, wirtschaftliche Dynamik mit gesellschaftlichem Zusammenhalt zu verbinden. Das geht mit der Linken deutlich einfacher als mit der CDU. Die Aufdeckung der Lebensgeschichte von zwei Menschen, die ihre Wähler eindeutig belogen haben, hat die Koalition überrascht.

Nach den Lügen und Stasi-Enthüllungen – kommen Sie sich mit ihrer Versöhnungsinitiative nicht blauäuig vor?

Ich war zu optimistisch, was die Aufarbeitung der eigenen Geschichte in der Linkspartei angeht. Hier muss Klarschiff gemacht werden. Auf der anderen Seite: Wir müssen wahrnehmen, dass Ost und West noch längst nicht den Zustand der inneren Einheit erreicht haben, den wir uns vor 20 Jahren vorgestellt haben. Viele Menschen sind in Demokratie und Marktwirtschaft noch nicht angekommen, wie aktuelle Umfragen zeigen. Vor diesem Hintergrund kann niemand sagen, wir haben alles richtig gemacht.

Wurden Sie von der Linken hintergangen?

Nein. Denn ich gehe davon aus, dass die Verhandlungspartner der Linken über die Vergangenheit von Herrn Hoffmann und Frau Adolph ebenso wenig wussten wie ich. Wir haben intensiv über das Thema Stasi gesprochen.

Betrieb die Linke offensiv Aufklärung?

Bei denen, mit denen ich verhandelt habe, glaube ich das. Aber wir müssen erkennen, dass in den tieferen Sphären der Partei noch nicht bei allen der Stand erreicht ist, der nötig ist.

Muss sich die Aufarbeitung auch in Kreise und Kommunen ausbreiten?

Es wird eine Fernwirkung geben. Es war klar ein Fehler, nach 1990 keine Regelüberprüfung aller Landtagsabgeordneten mehr durchzuführen. Allein die Existenz einer solchen Überprüfung hätte dazu geführt, dass keiner mehr die Stirn hätte, mit einer solchen Vita überhaupt als Kandidat anzutreten. Der Fehler ist gemacht. Wir werden ihn beheben.

Wie viele Stasi-Fälle kann sich Rot-Rot noch leisten, bevor es am Ende ist?

Das ist eine hypothetische Frage. Ich erinnere daran: Wir hatten schon vor den aktuellen Fällen eine Überprüfung der Abgeordneten beschlossen. Und die Einsetzung eines Stasi-Beauftragten habe ich im Februar vorgeschlagen, als es diese Debatte überhaupt nicht gab. Jetzt haben wir zwei aufgedeckte Lebensläufe, aber gefühlt sind es 20.

Sie schließen weitere Stasi-Fälle nicht aus?

Ich kann nichts ausschließen. Jetzt muss alles auf den Tisch, deshalb machen wir die Überprüfung. Im Übrigen: Was hätten wir für eine Debatte, wenn es einen Fall in der Opposition gäbe? Ich hoffe aber sehr, auch für das Ansehen des Landtages, dass kein neuer Fall mehr dazukommt.

Können Sie für Ihre eigenen Abgeordneten die Hand ins Feuer legen?

Es geht um Menschen. Ich kenne alle meine Abgeordneten und kann mir das nicht vorstellen. Aber ich bin jetzt 20 Jahre in der Politik und habe sehr viel erlebt. Mit Sätzen wie die Hand ins Feuer zu legen bin ich deshalb sehr vorsichtig.

Braucht Brandenburg eine Bewegung wie 1968 in der Bundesrepublik?

Man kann die Situation nicht mit damals vergleichen, als Nazis auf wichtigen Posten saßen. Alle Gerichtspräsidenten, die meisten Universitätspräsidenten und alle Polizeipräsidenten sind keine SED-Kader, sondern Westdeutsche. Hier regiert nicht die Stasi.

Frau Große soll Landtagsvizepräsidentin werden. Sie war als Schulleiterin systemnah. Wo wird die Linie gezogen?

Entscheidend ist auch, ob jemand offen mit dem umgeht, was er früher gemacht hat. Und ich sage, bei aller Liebe: Kiesinger war Bundeskanzler, Filbinger Ministerpräsident. Frau Große war in der DDR Schuldirektorin. Also ich bitte darum, die Kirche im Dorf zu lassen.

Haben Sie die Koalition schon bereut?

Dass man mal flucht, ist normal. Aber wir haben eine Grundlage, und die trägt weiter als das, was jetzt Hauptthema ist.

Was versprechen Sie sich von einer Stasi-Beauftragten Ulrike Poppe?

Ich bin froh, dass sie es macht. Sie ist eine kluge, kompetente und zu differenzierter Betrachtungsweise fähige Frau. Sie kümmert sich um Opferhilfe und sie wird einen Beitrag zur Aufarbeitung leisten, bei Schülern und Lehrern. Ich bin sicher: Sie wird in die Gesellschaft hineinwirken.

Warum haben Sie sich nicht früher für einen Stasi-Beauftragten stark gemacht?

Als ich 2002 wieder in die Landesregierung kam, steckte das Land in einer tiefen Krise. Die Haushaltslage war schwierig, wir hatten hohe Schulden. Das hat die tägliche Arbeit bestimmt. Und im Wahlkampf 2004 hat das Thema Stasi nicht eine Sekunde eine Rolle gespielt. Da ging es um Hartz IV, Montagsdemos und die wirtschaftliche Existenz von Menschen. 

Sie sitzen seit 1990 im Kabinett. Wurden SED-Opfer in Brandenburg für die Debatte um Stolpes Stasi-Kontakte bestraft?

Nein, die damalige Debatte um Manfred Stolpe war sehr intensiv. Fast die gesamte Legislaturperiode war davon geprägt, bis zum Rücktritt von Marianne Birthler, ja dem Auseinanderfallen einer ganzen Regierung. Und nebenbei: Die Art und Weise der damaligen Debatte hat der SPD am Ende 54 Prozent Wählerzustimmung eingebracht. Damit haben sich die Brandenburger eben genau gegen die Schwarz-Weiß-Debatte ausgesprochen, mit der sich Stolpe konfrontiert sah. Ich wünsche mir, dass wir jetzt zu einer sachlichen Debatte in der Lage sind. Leider haben die jetzigen Stasi-Fälle wieder dazu geführt, dass die Diskussion holzschnittartig geführt wird.

Brandenburg brauchte Jahre, um nicht mehr die „Kleine DDR“, zu sein, jetzt gibt es das Label „Stasi-Land“.

Ich will nicht kleinreden, dass wir derzeit ein Imageproblem haben. Aber wir werden diesen Ruf wieder abschütteln. Das geht, wenn wir tun, was wir uns vorgenommen haben. Wenn wir Klarheit haben, ist kein Raum mehr für ein Klima der Verdächtigungen.

Sie sind aber in der Hand der Linken.

Nichts ist ohne Risiko. Die Linke kennt unsere Erwartung, dass nach dem Kleinen Parteitag klarere Beschlüsse zum Umgang mit Stasi-Verstrickungen stehen. Dazu gehören Rahmenbedingungen und Eckpunkte zum Umgang mit der Vergangenheit, keine Verklärung der SED-Diktatur.

Ist Brandenburgs Stasi-Krise ein Rückschlag für alle rot-roten Bündnisse?

Ich sehe es anders: Es schadet einer Gesellschaft nie, wenn mehr Klarheit und Offenheit einzieht. Das geschieht. Und es muss für spätere Koalitionsoptionen nicht schädlich sein.

Das Interview führten Thorsten Metzner, Gerd Nowakowski und Christian Tretbar.

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