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Atomausstieg – und dann? Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) fordert von der Bundesregierung ein Energiekonzept für Deutschland.

© Thilo Rückeis

Matthias Platzeck: "Wir brauchen noch mehr Windkraftanlagen"

Brandenburgs Regierungschef Matthias Platzeck (SPD) über die Widerstände gegen Öko-Energien und eine Kohle-Renaissance nach dem Gau in Japan.

Wie haben Sie, damals Umweltinspektor in Potsdam, Tschernobyl erlebt?

Daten über radioaktive Belastungen hatten wir keine, auch keine Messgeräte. Ich erinnere mich aber, dass Welten klafften zwischen dem, was wir im Westfernsehen sahen und den offiziellen Propaganda-Verniedlichungen, und dass es danach wochenlang plötzlich Obst und Gemüse in den Läden gab, weil unsere LPGen im Westen keine Abnehmer mehr hatten.

War das Ihr Atomausstieg?

Es war dafür zumindest ein Schlüsselerlebnis. Es hat dazu beigetragen, dass ich Ende der 80er Jahre hundertprozentig überzeugt war, dass Atomkraft ein Irrweg ist. Vorher wurde diese Energie verherrlicht, plötzlich stellten sich die Risiken schlagartig, mit ungeahnter Wucht dar. Leider hat Tschernobyl nicht zu dauerhaften Schlussfolgerungen geführt, in Ost und West. Es verschwand aus dem kollektiven Bewusstsein und ich bete, dass jetzt nicht wieder dieser Mechanismus eintritt, aus den Augen, aus dem Sinn. Wir leben in einer Welt, die vielerorts unsicherer wird, wo Staaten ihr Gewaltmonopol verlieren, jede zweite Waffe in Privathand ist, die deutsche Marine vorwiegend Piraten bekämpft, in der niemand garantieren kann, dass Länder, die heute Kernkraftwerke bauen, in zehn Jahren stabil sind. In dieser Welt ist der Einsatz von Kernkraft verantwortungslos.

Reicht es aus, dass die Bundesregierung jetzt acht Altmeiler abschaltet?

Es wäre gut, wenn überalterte Atomkraftwerke endlich vom Netz gehen. Aber noch ist nicht einmal klar, dass dies dauerhaft geschieht. Und ich habe da Zweifel, die Anteilseigner der AKW sind mir verdächtig still. Es gibt zudem rechtliche Probleme, so dass ich fürchte, dass Ergebnis ist offen. Vor allem aber frage ich mich, was von einer Bundesregierung zu halten ist, die gegen alle Warnungen im letzten Jahr mit dem Atomausstieg einen gesellschaftlichen Konsens in der Bundesrepublik aufgekündigt hat, der wie wenige Kompromisse in dieser Gesellschaft fast hundertprozentig getragen wurde, und die jetzt eine totale Wende macht. Es stimmt mich nachdenklich, dass in diesem Land ein solcher Politikstil möglich ist, was Seriosität, lange Linien, auch Regierungshandwerk betrifft. Schauen Sie sich doch nur das jüngste Verwirrspiel um das Moratorium an.

Die Katastrophe zwingt zum Lernen.

Wenn es glaubwürdig sein soll, müsste die Kanzlern die Kraft haben, ans Mikrofon zu gehen mit dem Eingeständnis: Ja, das war ein Fehler, wir kehren zum Kompromiss zurück, raus aus dieser Energie in verantwortbaren Übergangszeitraum.

Lassen Sie uns sprechen, welche Konseqenzen gezogen werden müssen. Woher soll danach der Strom für die Steckdose kommen?

Am Ende aus erneuerbaren Energien. Wir werden aber weltweit darüber nachdenken müssen, ob fossile Brennstoffe für den Übergang eine wichtigere Rolle spielen als erwartet. Diese Debatte wird jetzt forciert. Die Bundesregierung ist in der Pflicht, ein Energiekonzept aufzulegen, das eine reale Basis hat, nachdem das alte gescheitert ist.

Und was tun Sie in Brandenburg?

Wir haben eine besondere Verantwortung, wir sind Mitversorger nicht nur für die deutsche Hauptstadt. Wir haben es geschafft, dass unser Land vom Stand Null nach zwanzig Jahren bestes Bundesland beim Einsatz erneuerbarer Energien ist. Im neuen Energiekonzept werden wir uns ein noch ehrgeizigeres Ziel setzen, nämlich den Anteil Erneuererbarer Energien am Gesamtenergieverbrauch über die 20-Prozent-Marke zu erhöhen. Das wird nicht leicht, aber es ist die Zukunft.

Schon jetzt gibt es überall Proteste gegen Windparks, Solarparks, Biomasse-Kraftwerke. Beunruhigt Sie das?

Dieser Trend macht mir Sorgen. Ich erlebe es Abend für Abend bei Versammlungen, wie sich alle einig sind: Atomenergie? Nein Danke! Kohle? Zu schmutzig, höchste Vorsicht wegen CO2! Windräder? Haben wir schon genug! Biogasanlagen? Nur im Nachbardorf! Und schon gar keine neuen Stromleitungen! Das ist nicht nur ein Brandenburger Phänomen. Dieses Verhalten gefährdet den Industriestandort Deutschland .

Sind wir zu technikfeindlich, wohlstandsverwöhnt?

Das ist fast eine philosophische Betrachtung wert. Nach 20 Jahren in der Politik komme ich zum Schluss: Zu viele scheinen den Blick verloren zu haben, was die Basis unseres hart erarbeiteten Wohlstandes ist, weshalb wir etwa schneller als andere aus der Krise gekommen sind. Die Antwortet lautet: Deutschland ist Wohlstandsland, weil es Industrieland ist. Aber das ist kein Naturgesetz. Der Wettbewerb wird härter. Niemand wartet auf uns.

Und das Fazit?

Man muss sich mit bestimmten Neben-Wirkungen von Produktion, die Energie braucht und Emissionen verursacht, arrangieren, auch als Bürger. Dies ist aus dem Blick geraten. Diese Wahrheit muss man deutlich aussprechen. Wir brauchen in Brandenburg z.B. noch mehr Windkraftanlagen. Und auch der ökologischste Strom muss irgendwann seinen Weg in die Steckdosen finden. Dazu brauchen wir neue Trassen.

Sie wollen den Wutbürger zähmen?

Ich halte nichts von diesem Begriff. Es ist gut, dass sich die Verhältnisse verändert haben, dass es viel bessere Möglichkeiten gibt, sich an Planungen zu beteiligen. Das Internet hat da Wunder gewirkt. Das Publikum ist aufgeklärter, Menschen lassen sich nicht mehr alles gefallen, wunderbar. Aber ich sage auch: wo Beteiligung gewünscht wird, ist Mitverantwortung fürs Ganze nötig. Das Sankt-Florians-Prinzip hilft Deutschland nicht.

Wenn alles schon in Brandenburg so schwierig ist, wo kaum einer wohnt, wie soll das in Deutschland gelingen?

Sie haben den Finger in der Wunde! Das ist genau der Punkt. Wir müssen diese gesellschaftliche Debatte ohne Tabus führen.

Vielleicht wird die Akzeptanz für erneuerbare Energien ja jetzt größer?

Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Sie sehen Renaissance fossiler Brennstoffe. Wird Brandenburg länger auf die Braunkohle, derzeit wichtigster Energieträger, setzen?

Wir stehen vor einer offenen und gründlichen Energiedebatte, überall. Ich bin mir sicher, dass es dabei auch eine Neubewertung der Übergangsfunktion fossiler Brennstoffe geben wird. Auch unter dem Gesichtspunkt, dass Kohle ein versorgungssicherer und einheimischer Rohstoff ist. Zunächst ist aber jetzt die Bundesregierung, die vieles hat schleifen lassen, am Zuge. Sie hat sich auf Atomenergie verlassen. Berlin ist in der Pflicht.

Was heißt das für die umstrittene CCS-Technologie für eine „saubere“ Kohle, auf die Ihre Regierung als einzige setzt und dafür lange ein Bundesgesetz anmahnt?

Wir werden keinem Gesetz zustimmen, das auf eine Lex Brandenburg hinausläuft: Und Brandenburg wird keinem Gesetz zustimmen, mit dem hier Versuche ermöglicht werden, es aber in Deutschland am Ende realistisch nirgendwo sonst Speicher gäbe. Entweder wir gehen industriepolitisch in Deutschland diesen Weg gemeinsam oder gar nicht.

Sie wollen CCS also immer noch erproben. Jetzt erst Recht, nach dem Japan-Gau?

Wir werden keine Technologie zulassen, die mit Gefährdungen von Bürgern verbunden ist.

Der Bund hat CCS lange links liegen lassen. Jetzt gibt es plötzlich Aussagen der Kanzlerin, des Bundeswirtschaftsministers. Rechnen Sie mit einer Trendwende?

Zunächst muss sich diese Regierung einmal fangen, energiepolitisch Tritt fassen.

Setzen Sie mit CCS nicht auf eine nicht restlos beherrschte Risikotechnologie wie einst die Atomkraft?

Sollte sich herausstellen, dass CCS eine nicht beherrschbare Risikotechnologie ist, wird diese nicht eingesetzt. Punkt!

Dennoch, Sehen Sie einen Unterschied zwischen Atommüll- und Kohlendioxid–Endlagern?

Ich wiederhole meine letzte Antwort!

Glauben Sie wirklich, dass nach dem traumatischen Japan-Gau solche Endlager überhaupt noch durchsetzbar sind?

Da muss man schon differenzieren. Aber noch einmal: Am Zuge bei CCS ist nicht Brandenburg, sondern der Bund.

Die FDP hat Rot-Rot "Zusammenarbeit" zur Energieversorgung angeboten, einen "Runden Tisch" vorgeschlagen, für einen brandenburgischen Energiekonsens. Nehmen Sie das an?

Brandenburg hat eine handlungsfähige Regierung, und ein tragfähiges Energiekonzept, das wegen des Schwenks in der Atompolitik nicht korrigiert werden muss. Darüber rede ich gern mit jedem. Mein Eindruck ist, dass FDP und CDU eher Bedarf haben, sich einmal selbst an einen runden Tisch setzen, zur Selbstfindung, um zu wissen, wo sie hin wollen.

Die Katastrophe in Japan berührt jeden. Nach der letzten Sitzung Ihres Kabinetts wurde offiziell mitgeteilt, dass jetzt geprüft wird, „wie das Land Brandenburg für einen eventuellen atomaren Katastrophenfall gewappnet ist." Was soll diese regierungsamtliche Panikmache?

Wir schüren keine Ängste. Jede Regierung ist in diesen Tagen gut beraten, nach diesem Prinzip zu handeln: Man muss das Undenkbare denken, um vorbereitet zu sein. Das erwarten die Bürger zurecht.

Das Interview führte Thorsten Metzner

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